hinunterraste, setzte sich in seinem Kopf ein Gedanke fest: dass "dieser Sport eine Droge ist". Das half.
Er ging aber noch einen Schritt weiter und nahm während der Dreharbeiten sogar leibhaftige Drogen. Es waren Substanzen aus dem Arsenal des Dopings. Foster wollte einfach "besser verstehen, um was es in dieser Welt ging". Doch seine Anstrengungen, den größten Sportbetrüger aller Zeiten so authentisch wie möglich auf die Leinwand zu bringen, führten am Ende zu einer überraschenden Erkenntnis. Lance Armstrong sei nicht "nur ein Lügner und Doper gewesen", sagte der Schauspieler neulich in einem Interview. Er habe mit seiner Krebsstiftung schließlich sogar Leben gerettet. "Ihn einen Gangster zu nennen ist ignorant."
Wer den Film anschaut, den der Engländer Stephen Frears auf der Basis eines Buches des irischen Journalisten David Walsh gedreht hat, wird angesichts der Darstellungskunst von Foster eher etwas anderes empfinden. Armstrong wirkt wie ein Ekelpaket erster Güte. Der Streifen kommt am Donnerstag unter dem Titel "The Program - um jeden Preis" in die deutschen Kinos und lässt ganz bewusst zwischen seinen ethisch-moralischen Grundpfeilern aus Gut und Böse nur wenig Raum für differenzierte Wahrnehmungen.
Was Wunder! Lance Armstrong weigert sich auch noch drei Jahre nach seinem pauschalen Doping-Geständnis, seinen Beitrag dazu zu leisten, die vielen Stränge seines Betrugssystems aufzudecken. Zwar wurden Ärzte wie Michele Ferrari und sein Sportlicher Direktor Johan Bruyneel sportgerichtlich belangt. Aber noch immer können Mitwisser wie der Finanzier Thom Weisel und wichtige Sponsoren wie die Radfirma Trek so tun, als seien sie von dem mittlerweile 44-Jährigen einst genauso düpiert worden wie die breite Öffentlichkeit.
Und so zieht sich das echte Drama in den Kulissen der amerikanischen Jurisprudenz weiter hin. Erst Ende September gab Armstrong endlich nach und erklärte sich bereit, die 10 Millionen Dollar zu bezahlen, die er dem Versicherungsunternehmen SCA schuldet, das sich aufgrund des aufgekommenen Doping-Verdachts 2004 geweigert hatte, die für seine Erfolge bei der Tour de France vereinbarten Extra-Prämien zu zahlen. Im Rahmen der Auseinandersetzung war Armstrong zwischendurch sogar so weit gegangen, einen Meineid zu leisten. Der blieb nur deshalb strafrechtlich ohne Folgen, weil er nur wenige Jahre später bereits verjährt war. Nun entschuldigte sich der Texaner "für jedes Fehlverhalten" beim SCA-Chef Bob Hamman, der im Frears-Film ebenfalls vorkommt, gespielt von Dustin Hoffman.
Auch die von Armstrongs ehemaligen Teamkollegen Floyd Landis angeschobene und vom Justizministerium aktiv unterstützte Schadensersatzklage der amerikanischen Post geht weiter. Der Gerichtsprozess befindet sich allerdings noch immer in der Vorphase, in der beide Seiten eigenständig Ermittlungen und Zeugenbefragungen betreiben. Viele der Verzögerungen sind taktischer Natur. So konnten die teuren Anwälte von Armstrong nicht verhindern, dass ihr Mandant, der im Juli unter Eid schon einmal sieben Stunden lang hinter verschlossenen Türen lang ausgesagt hatte, demnächst noch einmal antreten muss. Sie wehrten sich auch erfolglos dagegen, dass die beiden Firmen Nike und Trek gezwungen wurden, ihre profitablen Geschäftsbeziehungen zu Armstrong offenzulegen.
Einen Einblick in das Tauziehen und Informationen über den Stand der Dinge erhält die Öffentlichkeit allerdings nur gelegentlich. Und zwar immer dann, wenn beide Seiten dem zuständigen Richter Christopher Cooper in Washington ihre oft sehr ausführlich begründeten Anträge vorlegen und der seine Entscheidungen zum Verfahrensgang trifft und begründet.
So wurde deutlich, dass Floyd Landis - obwohl ein zentraler Zeuge, so auch im Kinofilm -, bislang noch immer nicht von Armstrongs Anwälten befragt werden konnte. Der Amerikaner, der 2006 nach seinem Sieg bei der Tour de France des Dopings überführt wurde und danach jahrelang alles abstritt, hat nach den amerikanischen Gesetzen als Hauptinformant einen Anspruch auf bis zu 30 Prozent der erstrittenen Schadensersatzsumme. Ein Betrag, der sich theoretisch auf 100 Millionen Dollar belaufen könnte, vermutlich aber deutlich niedriger ausfallen wird. Armstrong hatte dem Vernehmen nach anfänglich fünf Millionen Dollar angeboten, um den Rechtsstreit gütlich zu beenden. Die Offerte wurde von der Post und dem Justizministerium abgelehnt, was darauf hindeutet, dass man darauf aus sein dürfte, das Verfahren in die nächste Phase zu bringen - wenn in einer öffentlichen Verhandlung alle Ermittlungsergebnisse und alle Zeugenaussagen ans Tageslicht kämen.
Derartige Enthüllungen kann der Film logischerweise nicht bieten. David Walsh, einst einer der wichtigsten Motoren bei der Aufdeckung des Armstrongschen Betrugsnetzwerks, ist dennoch zufrieden: Im Kino bekomme man "die wahre Geschichte, ehrlich dargestellt", sagt er. "Alle wichtigen Abschnitte sind enthalten." Alle - bis auf einen wirklichen Schluss.
JÜRGEN KALWA
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