noch, Rache und Vergeltung, wenn alle Erinnerung aussetzt? Gut und Böse werden austauschbar, auf welcher Seite man steht, das ist allein eine Frage der Aleatorik. Nur der Killerinstinkt scheint noch intakt, eine Schusswaffe kann Costello auch mit verbundenen Augen schneller zusammensetzen als jeder andere. Weil ihm die Ortskenntnis fehlt, heuert er drei chinesische Hitmen an, Kwai und Chu und Fat Lok. Anthony Wong und Gordon Lam und Lam Suet spielen sie als in sich ruhende Profis, denen eine Abmachung mehr gilt als das eigene Leben.
Costello und die Chinesen, das sind verwandte Seelen, über kurze Blicke und sparsame Gesten ist ihre Wesensverwandtschaft erzählt, beim Kochen, beim Essen, beim Warten. Natürlich rennen sie gegen Windmühlen an, den mächtigsten Gangsterboss der Stadt, aber sie bleiben sich treu, indem sie einander die Treue halten. Das Schicksal ist nicht zu bezwingen, aber ihm lassen sich Augenblicke abtrotzen, die als Glück zu bezeichnen wären. Ruhe und Frieden, das ist der Horizont der Sehnsucht, wie er immer wieder aufblitzt im Mündungsfeuer der großkalibrigen Schusswaffen.
"Vengeance" ist ein radikaler Film, abstrakter vielleicht als alles, was das Genre zuvor ausgemacht hat. Wenig wird erzählt, was nicht schon bekannt wäre aus dem Kino, nie geht es um Plot und Psychologie, stattdessen sind Konstellationen der Kern in diesem Film. "Vengeance" lebt von seinem Umgang mit Standards, der Akkumulation situativer Entwürfe. Alles Sichtbare kennt ein Neben, ein Zwischen, ein Hinter: das verlagert, verschiebt, verzaubert. Wenn Costello und die drei Hitmen ihre Zielfertigkeit prüfen, indem sie ein Fahrrad im Kugelhagel zum Rollen bringen. Wenn sie in einem Waldstückchen auf drei andere Profis treffen und der Shootout immer wieder in völliger Finsternis versinkt, bis der Vollmond abermals hinter den dichten Wolken am Himmel hervortritt. Wenn Costello im nächtlichen Regen nach seinen Helfern Ausschau hält und verzweifelt versucht, sie anhand von Polaroidphotos inmitten nasser Menschenmassen zu lokalisieren. Wenn die drei Hitmen in ihrem letzten Kampf von riesigen Batzen aus Papiermüll eingekreist werden, und der Wind die tote Materie in Bewegung setzt, bis schließlich kein Blatt mehr sich bewegt.
Johnnie To liebt es, die generischen Standards auf ihre bloße Funktionalität einzudampfen. Durch Spiele mit Licht und Schatten reduziert To das figurative Arrangement zu glänzenden Silhouetten, die sich im urbanen Dschungel nach strenger Choreographie bewegen. Seine Strategie dabei ist die Entschleunigung, bis hin zu Stillstellung und Stasis. Nur die Natur lässt sich nicht stillstellen und bleibt selbst in extremer Zeitlupe in Bewegung. Tos Blick ist der des Melancholikers - wie schnell alles sich doch ändert in absoluter Statik, das ist sein Thema.
IVO RITZER.
Johnnie To: "Vengeance".
Koch Media. 103 Minuten. Original, Deutsch, Untertitel. Extras: Trailer, Making-of.
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