wird. Als er beim Mittagessen nach einem Hinweis auf Gesundheitsprobleme seinen Kopf vornüber in den vollen Teller klatschen läßt, verläßt die Tochter angewidert den Tisch und auch seine Frau geht nicht weiter darauf ein. Als beim nächsten Essen der Vater die Tochter mit den Worten begrüßt, ihre Mutter sei tot, hält sie das deshalb erst einmal für einen Scherz, ehe ihr dämmert, daß er diesmal die traurige Wahrheit spricht. Diese Lücke zwischen bitterem Ernst und unfreiwilliger Komik, wo man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll, ist das Gelände, auf dem der Film "Kleine Mißgeschicke" spielt.
Die Regisseurin Annette K. Olesen hat die sogenannte "Mike-Leigh-Methode" angewandt, die offenbar folgendermaßen funktioniert: Sobald das Handlungsgerüst steht, werden Schauspieler gesucht, die dann drei bis fünf Charaktere vorstellen müssen, denen sie in ihrem Leben begegnet sind - daraus wählen die Filmemacher anschließend einen Charakter für den jeweiligen Schauspieler aus. Dann wird improvisiert und schließlich erst das Drehbuch geschrieben. Die Methode liest sich wie eine Art Fliegenfalle für Wirklichkeitspartikel, und man kann erahnen, warum manche Mike-Leigh-Filme so aussehen, als seien sie im Morast der Realität gefangen. Aber die Dänin hat sich von den sozialen Implikationen nicht weiter beschweren lassen und manövriert immer haarscharf am Rande zur Komödie durch ihren Stoff.
Das liegt natürlich auch an den Schauspielern, deren Figuren - womöglich dank der Mike-Leigh-Methode - direkt aus dem Leben gegriffen zu sein scheinen: Der Vater (Jørgen Kill), der stets freundlich lächelt und damit allen Problemen aus dem Weg gehen zu können hofft. Die Tochter (Maria Würgler Rich), die sich nicht von Zuhause lösen kann und nicht nur vom Humor ihres Vaters überfordert ist, sondern in jeder Situation wirkt wie ein Tier im Scheinwerferlicht eines nahenden Autos. Die ältere Tochter (Jannie Faurschou), die nach allerlei Selbsterfahrungstrips sich wechselweise als Malerin und Haiku-Dichterin versucht und auch sonst etwas wirr ist. Der Sohn (Henrik Prip), der als Architekt Karriere macht und alle Mühe hat, jeden Abend seine Frau zu besänftigen, die auf seine Verspätungen sehr allergisch reagiert. Und der Onkel (Jesper Christensen), der im Vorruhestand ist und ganze Tage rauchend vor dem Fernseher verbringt, bis ihm seine Frau einen Seitensprung gesteht. All diese Leute haben also ohnehin schon genug Probleme im Leben, so daß der Tod der Mutter so ungefähr das letzte ist, was sie noch brauchen können.
Aber das Leben geht weiter, und Annette K. Olesen schafft es, auch ohne den dänischen Hang zur Eskalation die Dinge mit einer Beharrlichkeit voranzutreiben, daß man spüren kann, wie es in den Fugen des Alltags zu knacken beginnt. Eines kommt zum anderen, und man sieht, wie die Figuren versuchen, damit fertig zu werden. Das ist vielleicht nicht viel, aber es versöhnt uns mit dem Leben. Und genau darum geht es doch im Kino.
MICHAEL ALTHEN
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