
DVD
Kalt ist der Abendhauch
Nicht lieferbar
Bildformat: 16:9 anamorph Sprache / Tonformat: Deutsch (Dolby Digital 5.1) Ländercode: 2 Extras: Kinotrailer, Filmographien, Interviews, Making of, Regiekommentar, Entstehung einer Szene, Geschnittene Szenen, Gedichte aus dem Film, Moodboard
Ingrid Noll, geb. 1935 in Shanghai, studierte in Bonn Germanistik und Kunstgeschichte. Sie ist Mutter dreier inzwischen erwachsener Kinder. Nachdem die Kinder das Haus verlassen hatten, begann sie Kriminalgeschichten zu schreiben, die allesamt sofort zu Bestsellern wurden. 'Die Häupter meiner Lieben' wurde, wie andere ihrer Romane, erfolgreich verfilmt. Im September 2000 kam 'Kalt ist der Abendhauch' in die Kinos. 2005 erhielt Ingrid Noll den Friedrich-Glauser-Preis.
Produktdetails
- Anzahl: 1 DVD
- Hersteller: EuroVideo Medien
- Gesamtlaufzeit: 119 Min.
- Erscheinungstermin: 18. Juli 2001
-
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren gemäß §14 JuSchG - Sprachen: Deutsch
- Bildformat: 16:9, PAL
- EAN: 4009750243473
- Artikelnr.: 09947633
Herstellerkennzeichnung
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Die Minute der wahren Empfindung
Leben in wachsenden Ringen: Rainer Kaufmanns Film "Kalt ist der Abendhauch" nach dem Roman von Ingrid Noll
Darauf hat das deutsche Kino lange warten müssen: Rainer Kaufmanns "Kalt ist der Abendhauch" nach dem gleichnamigen Roman von Ingrid Noll ist ein episch ausgreifend angelegter, bewegender Liebesfilm, der über seine Figuren zugleich gut fünfzig Jahre deutscher Zeitgeschichte spiegelt. Dabei erzählt der Film, mit dem Kaufmann neugierig eintauchen wollte in die Zeit, als seine Eltern jung waren, im Grunde eine eher banale Geschichte - wie zwei Menschen, die füreinander geschaffen waren, es versäumen, ihre Liebe wirklich zu leben. Aber wie reich an Erfahrung aus gleich mehreren
Leben in wachsenden Ringen: Rainer Kaufmanns Film "Kalt ist der Abendhauch" nach dem Roman von Ingrid Noll
Darauf hat das deutsche Kino lange warten müssen: Rainer Kaufmanns "Kalt ist der Abendhauch" nach dem gleichnamigen Roman von Ingrid Noll ist ein episch ausgreifend angelegter, bewegender Liebesfilm, der über seine Figuren zugleich gut fünfzig Jahre deutscher Zeitgeschichte spiegelt. Dabei erzählt der Film, mit dem Kaufmann neugierig eintauchen wollte in die Zeit, als seine Eltern jung waren, im Grunde eine eher banale Geschichte - wie zwei Menschen, die füreinander geschaffen waren, es versäumen, ihre Liebe wirklich zu leben. Aber wie reich an Erfahrung aus gleich mehreren
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Generationen wird diese Banalität unterfüttert, in wie vielen lebensnahen Facetten faltet sich eine Familienchronik auf, in der Unbeschwertheit stets ihren Platz findet neben jähem Erschrecken, Überlebenswillen neben drohender Verzweiflung, Lachen neben Trauer. Selbst für die Achtung vor dem Tod findet Kaufmann im Universum Ingrid Nolls einen Ort.
"Vielleicht braucht es ein ganzes Leben, um fünf Minuten glücklich sein zu können", bilanziert Charlotte am Ende ihre Erfahrungen. Da hat sie die Achtzig längst überschritten, hat den Krieg und den falschen Ehemann überstanden, hat drei Kinder großgezogen, bei seltenen Liebhabern nur für Augenblicke Trost gefunden, aber sich, halb blind schon, doch hellwach, in einem Sarkasmus eingepanzert, mit dem sie sich gerüstet weiß für den Rest ihres Lebens. Und dann kommt unversehens der Brief ins Haus, in dem Hugo seinen Besuch ankündigt - und alles bricht wieder auf.
Dieser Hugo, ein unverschämt charmanter Kerl ohne jede Bodenhaftung, hatte Charlottes älterer Schwester Ida den Hof gemacht, sie geschwängert und geheiratet und später als völlig untauglicher Ehemann schmählich allein gelassen. Charlottes pubertäres Hingerissensein angesichts der Lebensfreude Hugos schmeichelte ihm, möglichen Konsequenzen aber wich er aus, indem er seine Schwägerin zwar umflirtete, doch im übrigen geflissentlich übersah. So mußte Charlotte schon in jungen Jahren lernen, mit Kränkungen zurechtzukommen - durch einen herrischen, sich als polternder Patriarch gefallenden Vater; durch das Objekt ihres Verlangens, das unerreichbar schien; durch das Leben überhaupt.
Der Selbstmord des jüngeren, innig geliebten Bruders am Tag von Idas Hochzeit markiert die entscheidende Zäsur in Charlottes Leben. Albert, lieber Mädchen als Junge, aber noch ganz verspielt effeminiert, hatte die Verachtung des Vaters nicht länger ertragen können. Und Charlotte sah sich unversehens genötigt, mit ihrer verträumten Naivität, mit ihrer Lust am schwärmerisch Ungebärdigen zu brechen.
Nur kurze Zeit später ging im nationalsozialistischen Wahn und im Bombenhagel Charlottes ganze bürgerliche Welt zu Bruch. Der Film hält sich klugerweise bei dieser Zeit, die in Bildern realistisch nachzuformen stets ungemein heikel ist, nur mit wenigen Einstellungen auf. Wie in den Trümmern der Nachkriegsjahre auch alle bis dahin gültigen Lebensgesetze zerbarsten, wie die Menschen mit elementarer Gier zueinander drängten, bewegt den Film weit mehr. "Es war", evoziert der Produzent Günter Rohrbach in ein paar Anmerkungen zum Film diesen Augenblick der Stunde Null, "die Zeit der starken Frauen und der geschlagenen, verkrüppelten und zerstörten Männer. Es waren die Jahre, in denen die Menschen hungrig nach allem waren, nach Essen zuerst, aber auch nach Leben und Liebe." Eine schmal bemessene Spanne lang finden Hugo und Charlotte aneinander Halt, aber es will ihnen nicht gelingen, ihr Glück auf Dauer zu bannen.
Charlottes im Krieg verschollener und unterdessen totgeglaubter Ehemann Bernhard steht als geschundenes, vollkommen versehrtes Wrack vor der Tür und begehrt Einlaß in ein Leben, das mit ihm längst abgeschlossen hatte. Es ist die zweite Zäsur in Charlottes Leben und der Moment, in dem Rainer Kaufmanns Film nicht länger mit Ettore Scolas elegant verwobener Chronik "La Famiglia" verglichen werden darf, sondern der skurrilen Phantasie Ingrid Nolls Tribut zollen muß, die sich hier an der allgemein gebräuchlichen Redensart von der "Leiche im Keller" entzündete. Bernhard, fast debil in seinem Schwächezustand, kam durch einen unglücklichen Sturz zu Tode. Aber indem sie die Leiche im Keller einmauern, sozusagen in der Verlängerung des Kaminabzugs nach unten, machen sich Charlotte und Hugo gemeinsam schuldig - und sind in der Folge außerstande, ihr mögliches Glück zu zweit mit den Kindern auch nur eine Minute länger zu leben.
Zwar kann sich das Drehbuch von Kathrin Richter und Ralf Hertwig einleuchtend von der ausufernden Vorlage emanzipieren, indem Erzählstränge verdichtet und Figuren verschmolzen werden, aber um das zentrale Motiv des Romans kommt es natürlich nicht herum. Beim Einmauern des Toten und mehr noch, als der Kamin ein halbes Leben später wieder aufgebrochen wird und ein eigentümlich geräucherter Kadaver ans Licht kommt, treibt der Film mit dem Entsetzen bösen Scherz. Jedermanns Sache wird das nicht sein, doch dem Regisseur, wie er im Gespräch betont, ist diese Komik in der Schrecklichkeit wichtig, weil sie mögliches Pathos unterläuft. Und wenn die Leichenstarre den abgewinkelten Arm Bernhards ausgerechnet in den Hitlergruß zwingt, dann findet der Humor zu einer Schwärze, die etwas Bezwingendes hat.
Ausbalanciert werden solche Szenen nicht zuletzt durch die Dezenz und schauspielerische Finesse der Darsteller. Heinz Bennent findet für die Altershypochondrien Hugos wunderbar selbstironisch zerknautschte Töne, denen Gisela Trowe einen resoluten, niemals verhärmten Mutterwitz entgegensetzt, der sich den demolierten Männern allemal überlegen zeigt. Die Notwendigkeit, Hugo und Charlotte in den unterschiedlichen Lebensaltern zweifach zu besetzen, führt zu einer Differenziertheit der Figuren, aus der Kaufmann, als Regisseur seiner Mittel so gewiß wie in keiner Arbeit zuvor, aufs feinste Gewinn zieht. Fritzi Haberlandts Charlotte, als kindlicher Wildfang noch mit verpflastertem Knie und mit fallendem Rocksaum immer beherrschter, läßt eine romantische Figur aufblühen, die auch im herbsten Verlust unprätentiös bleibt und sich das Gefühl der Sehnsucht wider jedes bessere Wissen zu bewahren versteht. August Diehl tänzelt als junger Hugo stets einen Fußbreit über der Wirklichkeit. Im Schuhgeschäft von Charlottes Familie wäre er verloren, die Poesie ist seine Welt, die er ständig im Munde führt: Rilke und Ringelnatz, Heine und natürlich Matthias Claudius, dessen "Abendlied" der Filmtitel entstammt.
Regie und Drehbuch verstehen sich fabelhaft darauf, beim Skizzieren von Figuren in wenigen Strichen eine Fülle von Assoziationen zu beschwören. Der blinde Spätheimkehrer Anton (Ingo Naujoks), der bei Charlotte unterschlüpft und die Vaterrolle für ihre Kinder probt, hat Borcherts "Draußen vor der Tür" in den Kleidern, Bernhard (André Hennicke) kündet von der Verführbarkeit durch die Nazis, und was Gisela Schneeberger als Altachtundsechzigerin vorführt, ist ein Juwel der Charakterisierungskunst en miniature. Den Rest besorgen die im Zeitdetail akkurate Ausstattung von Knut Loewe und die nicht zuletzt für die Tragfähigkeit des emotionalen Bogens wichtige Musik von Niki Reiser.
Macht es erst die wahre Größe von Liebenden der Menschheitsgeschichte, sich um ein Haar verfehlt zu haben? Hugo und Charlotte zählen so unbedingt zu den großen Liebenden.
HANS-DIETER SEIDEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Vielleicht braucht es ein ganzes Leben, um fünf Minuten glücklich sein zu können", bilanziert Charlotte am Ende ihre Erfahrungen. Da hat sie die Achtzig längst überschritten, hat den Krieg und den falschen Ehemann überstanden, hat drei Kinder großgezogen, bei seltenen Liebhabern nur für Augenblicke Trost gefunden, aber sich, halb blind schon, doch hellwach, in einem Sarkasmus eingepanzert, mit dem sie sich gerüstet weiß für den Rest ihres Lebens. Und dann kommt unversehens der Brief ins Haus, in dem Hugo seinen Besuch ankündigt - und alles bricht wieder auf.
Dieser Hugo, ein unverschämt charmanter Kerl ohne jede Bodenhaftung, hatte Charlottes älterer Schwester Ida den Hof gemacht, sie geschwängert und geheiratet und später als völlig untauglicher Ehemann schmählich allein gelassen. Charlottes pubertäres Hingerissensein angesichts der Lebensfreude Hugos schmeichelte ihm, möglichen Konsequenzen aber wich er aus, indem er seine Schwägerin zwar umflirtete, doch im übrigen geflissentlich übersah. So mußte Charlotte schon in jungen Jahren lernen, mit Kränkungen zurechtzukommen - durch einen herrischen, sich als polternder Patriarch gefallenden Vater; durch das Objekt ihres Verlangens, das unerreichbar schien; durch das Leben überhaupt.
Der Selbstmord des jüngeren, innig geliebten Bruders am Tag von Idas Hochzeit markiert die entscheidende Zäsur in Charlottes Leben. Albert, lieber Mädchen als Junge, aber noch ganz verspielt effeminiert, hatte die Verachtung des Vaters nicht länger ertragen können. Und Charlotte sah sich unversehens genötigt, mit ihrer verträumten Naivität, mit ihrer Lust am schwärmerisch Ungebärdigen zu brechen.
Nur kurze Zeit später ging im nationalsozialistischen Wahn und im Bombenhagel Charlottes ganze bürgerliche Welt zu Bruch. Der Film hält sich klugerweise bei dieser Zeit, die in Bildern realistisch nachzuformen stets ungemein heikel ist, nur mit wenigen Einstellungen auf. Wie in den Trümmern der Nachkriegsjahre auch alle bis dahin gültigen Lebensgesetze zerbarsten, wie die Menschen mit elementarer Gier zueinander drängten, bewegt den Film weit mehr. "Es war", evoziert der Produzent Günter Rohrbach in ein paar Anmerkungen zum Film diesen Augenblick der Stunde Null, "die Zeit der starken Frauen und der geschlagenen, verkrüppelten und zerstörten Männer. Es waren die Jahre, in denen die Menschen hungrig nach allem waren, nach Essen zuerst, aber auch nach Leben und Liebe." Eine schmal bemessene Spanne lang finden Hugo und Charlotte aneinander Halt, aber es will ihnen nicht gelingen, ihr Glück auf Dauer zu bannen.
Charlottes im Krieg verschollener und unterdessen totgeglaubter Ehemann Bernhard steht als geschundenes, vollkommen versehrtes Wrack vor der Tür und begehrt Einlaß in ein Leben, das mit ihm längst abgeschlossen hatte. Es ist die zweite Zäsur in Charlottes Leben und der Moment, in dem Rainer Kaufmanns Film nicht länger mit Ettore Scolas elegant verwobener Chronik "La Famiglia" verglichen werden darf, sondern der skurrilen Phantasie Ingrid Nolls Tribut zollen muß, die sich hier an der allgemein gebräuchlichen Redensart von der "Leiche im Keller" entzündete. Bernhard, fast debil in seinem Schwächezustand, kam durch einen unglücklichen Sturz zu Tode. Aber indem sie die Leiche im Keller einmauern, sozusagen in der Verlängerung des Kaminabzugs nach unten, machen sich Charlotte und Hugo gemeinsam schuldig - und sind in der Folge außerstande, ihr mögliches Glück zu zweit mit den Kindern auch nur eine Minute länger zu leben.
Zwar kann sich das Drehbuch von Kathrin Richter und Ralf Hertwig einleuchtend von der ausufernden Vorlage emanzipieren, indem Erzählstränge verdichtet und Figuren verschmolzen werden, aber um das zentrale Motiv des Romans kommt es natürlich nicht herum. Beim Einmauern des Toten und mehr noch, als der Kamin ein halbes Leben später wieder aufgebrochen wird und ein eigentümlich geräucherter Kadaver ans Licht kommt, treibt der Film mit dem Entsetzen bösen Scherz. Jedermanns Sache wird das nicht sein, doch dem Regisseur, wie er im Gespräch betont, ist diese Komik in der Schrecklichkeit wichtig, weil sie mögliches Pathos unterläuft. Und wenn die Leichenstarre den abgewinkelten Arm Bernhards ausgerechnet in den Hitlergruß zwingt, dann findet der Humor zu einer Schwärze, die etwas Bezwingendes hat.
Ausbalanciert werden solche Szenen nicht zuletzt durch die Dezenz und schauspielerische Finesse der Darsteller. Heinz Bennent findet für die Altershypochondrien Hugos wunderbar selbstironisch zerknautschte Töne, denen Gisela Trowe einen resoluten, niemals verhärmten Mutterwitz entgegensetzt, der sich den demolierten Männern allemal überlegen zeigt. Die Notwendigkeit, Hugo und Charlotte in den unterschiedlichen Lebensaltern zweifach zu besetzen, führt zu einer Differenziertheit der Figuren, aus der Kaufmann, als Regisseur seiner Mittel so gewiß wie in keiner Arbeit zuvor, aufs feinste Gewinn zieht. Fritzi Haberlandts Charlotte, als kindlicher Wildfang noch mit verpflastertem Knie und mit fallendem Rocksaum immer beherrschter, läßt eine romantische Figur aufblühen, die auch im herbsten Verlust unprätentiös bleibt und sich das Gefühl der Sehnsucht wider jedes bessere Wissen zu bewahren versteht. August Diehl tänzelt als junger Hugo stets einen Fußbreit über der Wirklichkeit. Im Schuhgeschäft von Charlottes Familie wäre er verloren, die Poesie ist seine Welt, die er ständig im Munde führt: Rilke und Ringelnatz, Heine und natürlich Matthias Claudius, dessen "Abendlied" der Filmtitel entstammt.
Regie und Drehbuch verstehen sich fabelhaft darauf, beim Skizzieren von Figuren in wenigen Strichen eine Fülle von Assoziationen zu beschwören. Der blinde Spätheimkehrer Anton (Ingo Naujoks), der bei Charlotte unterschlüpft und die Vaterrolle für ihre Kinder probt, hat Borcherts "Draußen vor der Tür" in den Kleidern, Bernhard (André Hennicke) kündet von der Verführbarkeit durch die Nazis, und was Gisela Schneeberger als Altachtundsechzigerin vorführt, ist ein Juwel der Charakterisierungskunst en miniature. Den Rest besorgen die im Zeitdetail akkurate Ausstattung von Knut Loewe und die nicht zuletzt für die Tragfähigkeit des emotionalen Bogens wichtige Musik von Niki Reiser.
Macht es erst die wahre Größe von Liebenden der Menschheitsgeschichte, sich um ein Haar verfehlt zu haben? Hugo und Charlotte zählen so unbedingt zu den großen Liebenden.
HANS-DIETER SEIDEL
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