nicht mehr zu gestalten ist.
Trotzdem tat de Hadelns Nachfolger gut daran, sich nicht als der Macher aus dem Westen zu präsentieren. Dieter Kosslick, bis dahin Leiter der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen, versprach vielmehr durch seine bloße Präsenz eine Berlinale, die Spaß macht. Er holte ein paar neue Leute ins Boot und warb allerorten um Unterstützung, und so mancher bemerkte erst am Ende eines amüsanten Gesprächs, daß der neue Direktor gar nicht daran dachte, seine Pläne preiszugeben.
Der Zeitpunkt seines Amtsantritts ist glücklich gewählt. So hat das Filmfest, das heute abend eröffnet wird, mit der Fertigstellung des Filmmuseums am Potsdamer Platz endlich ein Zentrum gefunden, und man darf hoffen, daß sich nun etwas von der Festivalstimmung einstellt, deren Fehlen man oft beklagte. Auch politisch hat sich manches getan: Zwar weiß Julian Nida-Rümelin anscheinend auch nicht, wie er der maroden deutschen Filmwirtschaft auf die Beine helfen kann. Aber er hat in vielen Gesprächen immerhin bewiesen, daß er es will. Auch die Eröffnung der Berlinale durch den Bundeskanzler wäre noch vor wenigen Jahren eine Überraschung gewesen.
Die wichtigste Ermutigung indes kommt aus dem Medium selbst. Der deutsche Film, unter dessen Schwäche auch das wichtigste deutschsprachige Filmfestival litt, scheint sich allmählich von seiner Krise zu erholen. Vor zwei Jahren noch hatte man de Hadeln gescholten, weil er es versäumt hatte, Oskar Roehlers "Die Unberührbare", den ersten großen Wurf seit "Lola rennt", im Wettbewerb zu zeigen. Heute ist die Zahl der beachtenswerten jungen Filmemacher so groß, daß Romuald Karmakars Diktum vom Ende des deutschen Kinos ("Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" vom 21. Oktober 2001) verfrüht erscheint.
Die Berlinale trägt dem Rechnung. Es gibt nicht nur eine neue Reihe "Perspektive Deutsches Kino" mit einer kühnen Auswahl kleiner Autorenfilme. Aus Deutschland kommen auch vier der dreiundzwanzig Beiträge des Wettbewerbs. Ihr Zuschnitt unterscheidet sich deutlich von dem, was hierzulande bisher als internationales Kino galt. Dominik Graf erzählt in dem "Felsen" von einer Frau, der ihr Leben entgleitet. Andreas Dresen schildert in "Halbe Treppe" zwei Ehen in der Krise. Christopher Roth fragt mit "Baader" nach dem Sex-Appeal der Gewalt in den ersten Jahren der RAF.
Wie sehr sich die Berlinale gewandelt hat, verrät am deutlichsten die Wahl des Eröffnungsfilms. Bei de Hadeln war es zuletzt "Enemy at the Gates", ein amerikanischer Film mit deutschem Inventar, der zwar einige Stars und mit Jean-Jacques Annaud auch einen festivaltauglichen Regisseur aufbot, aber seine Abenteuergeschichte derart unsensibel in den Kampf um Stalingrad verlegte, daß es keinen schlechteren Ort für die Premiere geben konnte als Berlin. Kosslick zeigt Tom Tykwers Film "Heaven", an dem auf den ersten Blick nichts deutsch ist außer dem Regisseur. Er spielt in Italien, und Cate Blanchett verkörpert eine Lehrerin, die nach einer Verzweiflungstat mit einem jungen Polizisten in ein Land jenseits der abgebrochenen Brücken flieht. Der Stoff stammt von Krzysztof Kieslowski. Die Umsetzung ist vorbildlich für den leisen, intensiven Stil, der die besten unter den neuen deutschen Filmen verbindet. Es scheint durchaus denkbar, daß in diesem Jahr der Goldene Bär im Land bleibt.
Das europäische Kino ist mit Regisseuren wie Tavernier, Ozon, Costa-Gavras immer noch gut vertreten. Deutlich reduziert wurde allerdings der Anteil Hollywoods, das die Berlinale bislang als Bühne für werbewirksame Vorpremieren nutzte. Es ist bezeichnend für Kosslicks Stil, daß er diese Schwerpunktverschiebung nicht mit Grundsätzen untermauert. Er reagiert lediglich darauf, daß die herausragenden Filme der letzten Monate nicht aus Amerika, sondern aus Frankreich, Spanien und Ostasien kamen. Das ist genug frischer Wind für den Anfang, obschon er niemandem den Hut vom Kopf wehen wird. Auch die Vorzugsbehandlung des deutschen Kinos ist nicht allein dem Patriotismus geschuldet. Sie korrespondiert mit einigen sehr unterschiedlichen Erfolgen deutscher Produktionen im letzten Jahr. Freilich möchte man hoffen, daß der eine oder andere der einheimischen Filme auf der Berlinale tiefere Spuren hinterläßt als "Der Schuh des Manitu".
MICHAEL ALLMAIER
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