leiten lassen, tun sie das Gegenteil der einfachsten Börsenweisheit: Sie kaufen teuer und verkaufen billig.
Solchen Anlegern muss der Aktienmarkt als abgekartetes Spiel erscheinen, in dem Geld systematisch von unten nach oben umverteilt wird. Besonders viel Unverständnis löst aus, dass große Investoren über Leerverkäufe auch an fallenden Papieren verdienen und so aus Krisen nur noch vermögender hervorgehen. Wohl deshalb zog es viel Sympathie auf sich, als Kleinanleger Anfang 2021 die Aktie der Ladenkette für Secondhand-Videospiele Gamestop in die Höhe trieben und damit Hedgefonds in die Knie zwangen, die darauf gewettet hatten, dass der Kurs des nahezu bankrotten Unternehmens noch weiter in den Keller rauschen würde.
Mit seinem Film "Dumb Money" bringt der australische Regisseur Craig Gillespie die Gamestop-Saga nun als Komödie auf die Leinwand, wobei das Sachbuch "The Antisocial Network" des amerikanischen Autors Ben Mezrich als Vorlage diente. Im Zentrum der Geschichte steht der von Paul Dano gespielte Keith Gill, ein Aktienmarkt-Enthusiast aus der Provinz, der nach Feierabend als "Roaring Kitty" in Livestreams erklärt, warum Gamestop unterbewertet sei. Dem sympathischen Geek folgt bald eine devote Anhängerschaft, der es gelingt, an den Finanzmärkten für einen kurzen Moment am längeren Hebel zu sitzen, indem sie ihre Ersparnisse in ein aussichtsloses Papier pumpt.
Das Drehbuch von Lauren Schuker Blum und Rebecca Angelo würdigt diese Kleinanleger, indem sich der Film für einige fiktive Charaktere Zeit nimmt, die zu Gill und anderen realen Akteuren hinzutreten - etwa zwei durch ihre Studienkredite hoch verschuldete College-Studentinnen oder eine alleinerziehende Krankenschwester, die ebenfalls mit Gamestop ihr Glück versuchen. Sie sollen vom Schicksal einfacher Leute während der Pandemie erzählen. Ihnen gegenüber stellt der Film vermögende Fondsmanager in Florida, die sich darum sorgen, wann die Nachbarvilla abgerissen wird, die sie nur gekauft haben, um auf dem Grundstück einen Tennisplatz zu errichten.
Zu einem weiteren Hauptdarsteller des Films wird das Smartphone mit der Broker-App Robinhood und Zugängen zu den sozialen Netzwerken, über die sich die wilden Anleger gegenseitig versichern, unbeirrbar an der Aktie festzuhalten, und so trotz social distancing während der Pandemie Gemeinschaft erfahren.
Mit Gill und seinen Anhängern durchleben wir also die ganze Achterbahnfahrt von Gier und Furcht während der wilden Kursausschläge. Als David-gegen-Goliath-Geschichte macht der Film den Aktienmarkt dabei zum Gleichnis einer Gesellschaft, in der die Regeln die Reichen und Mächtigen begünstigen und ressentimentgeladene Parolen wie "the system is rigged", also "das System ist manipuliert", nicht ohne Grund Anklang finden. Doch obwohl es den Hedgefonds-Managern gehörig an den Kragen geht - etwa dem von Seth Rogen gespielten Gabe Plotkin, der innerhalb weniger Tage mehrere Milliarden Dollar verliert -, handelt es sich im Gegensatz zu vielen anderen Genreklassikern wie "The Big Short" um keinen finanzmarktkritischen Film.
Der wichtigste Satz fällt während der Anhörung im amerikanischen Kongress, die unter Verwendung authentischer Videosequenzen aus der per Zoom abgehaltenen Sitzung nachgestellt wird. Gill wird dabei eine Aussage in den Mund gelegt, die er während der tatsächlichen Anhörung nicht getroffen hat: "Der Grundgedanke des Aktienmarktes ist, dass man, wenn man schlau ist und ein wenig Glück hat, reich werden kann." Der Aktienmarkt wird damit geradezu zum Vehikel des amerikanischen Traums glorifiziert - und die Kleinanleger, die ihre bescheidenen Ersparnisse gerade deshalb in eine aussichtslose Aktie pumpen, weil sie sich längst damit abgefunden haben, dass Aufstiegsversprechen nicht eingelöst werden, werden gleichsam zu Aktivisten, die "Occupy Wall Street" beerben.
So schadenfroh man dabei mitfiebert, wie es Kleinanleger den Hedgefonds einmal so richtig zeigen - der Film, der wahre Begebenheiten erzählen möchte, zeichnet ihre Revanche in allzu hellem Licht. In "Dumb Money" steigt keine der Figuren als Verlierer aus, obwohl schon damals viele Menschen Geld verloren haben, die zu spät auf den Begeisterungszug aufgesprungen sind.
Der Film vermittelt hingegen einen ungeschminkten Eindruck von den vulgären Konversationen auf dem Reddit-Forum "wallstreetbets" - lässt dabei jedoch ausgerechnet solche Posts außer Acht, die als "loss porn" bezeichnet werden und bei denen Anleger zeigen, wie sie in Windeseile Abertausende Dollar verjubeln. Im Forum erfreuen sich diese Posts mittlerweile mindestens ebenso großer Beliebtheit wie die Screenshots tiefgrüner Depots in Broker-Apps, die auch in "Dumb Money" vielfach zu sehen sind.
Längst verdienen Banken gutes Geld an Kleinanlegern, denen sie bereitwillig hochspekulative Wetten auf die jüngst gehypte Aktie mit fragwürdigen Fundamentaldaten verkaufen. Durch ihr gamifiziertes Design verlocken Broker-Apps junge Nutzer zu Investments, bei der die meisten Anleger Geld verlieren. Das erfreut sich seit den Ereignissen um Gamestop stetig wachsender Beliebtheit. Am Aktienmarkt fließt Geld dabei schneller denn je von unten nach oben. Aber das wird einmal ein anderer Film erzählen müssen. MIGUEL DE LA RIVA
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