jeweiligen Figur identifizieren. Schließlich lügen wir ja alle den ganzen Tag ums nackte Überleben, weil dauernd Leute irgendwas von uns wissen wollen, müssen und dürfen, was sie nichts angeht; man nennt das Informationsgesellschaft.
Der aus dieser Lage zwingend folgende Vertrauensverlust hat jede Menge lustige soziale Folgen. Fragen von geradezu philosophischer Tiefe stellen sich alltagsrelevant: Was kriegt man eigentlich noch fürs Geld, wenn niemand mehr den Leuten bei der Notenbank abnimmt, was sie von sich geben, und welchen Wert hat ein Bildungssystem, das neben öffentlichen Einrichtungen auch Herrschaftswissen für die dickeren Geldbeutel oder Privatunterricht gemäß weltanschaulichen Schrullen umfasst? Bevor die allgemeine Unglaubwürdigkeit sich ins Uferlose ausweitet, lohnt wohl ein Blick auf ihre kompakteste und intimste Erzählform: die Liebesgeschichte unter drei Personen, die dabei nicht nur einander, sondern jeweils auch sich selbst anlügen. Damit der Einsatz in diesem Spiel nicht zu niedrig ist, wird dabei am besten gleich noch gemordet. Das Gesellschaftsbild, das sich so ergibt, bildet den Hintergrund sämtlicher Werke der Krimischriftstellerin Patricia Highsmith.
Während das sogenannte abendländische Menschenbild offiziell annimmt (oder nur behauptet, aber nicht glaubt, also lügt), wir seien vernünftige Wesen, die bloß ab und zu ein Aussetzer durchrüttelt, ging Frau Highsmith vom Gegenteil aus: Unsere Gehirne, meinte sie, befinden sich eigentlich permanent im Rausch der Gier, der Lust, des Neides, Hasses oder auch der totalen Selbstüberschätzung, manchmal gleichzeitig, und Vernunft passiert uns allenfalls zwischendurch, aus Versehen.
Hossein Aminis schöner, böser Film "Die zwei Gesichter des Januars" (2014) nach Highsmiths gleichnamigem Roman ist dementsprechend ein von den Zwängen unausweichlicher Extremsituationen zusammengepresster, anderthalbstündiger Rausch, gegen den sich erfolglos die halb- bis viertelvernünftigen Pläne der drei Menschen stemmen, um die es geht (und deren Lügenlohn natürlich in keinem einzigen der drei Fälle auch nur annähernd das ist, was sie haben wollen).
Der Film spielt Anfang der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts in Griechenland und auf Kreta, wo Oscar Issac als junger Exilamerikaner, Fremdenführer und Gelegenheitsbetrüger Rydal Keener auf Viggo Mortensen trifft, der den versoffenen Ex-Soldaten Chester MacFarland spielt und Kirsten Dunst als dessen Frau Colette dabeihat.
Das Ehepaar scheint so vermögend wie unstet, treibt offenbar in träger Drift über den alten Kontinent, hat aber ein Geheimnis vor der Welt. Von diesem Geheimnis, das für sich genommen gerade noch handhabbares Menschenmaß hat, spaltet sich bald ein größeres ab, das der Gatte vor der Gattin verbergen muss, während diese sich wiederum bald ein weiteres zulegt, das ihre Beziehung zu dem charmanten Exilanten betrifft, der seinerseits beide MacFarlands hereinzulegen versucht, sich dabei aber am Ende nur selbst schwer täuscht. Alles wie im richtigen Leben also, vor allem in der haarsträubenden Vita der Verfasserin der literarischen Vorlage, wo sich destruktive Dreiecksverhältnisse, Lügen und Gemeinheiten bis zum bitteren Ende abwechselten - die Welt hat allen Grund, die vergleichsweise unschädliche Berufswahl dieser außergewöhnlichen Frau zu begrüßen; nicht auszudenken, was sie angerichtet hätte, wenn sie, statt wenigstens einen Teil ihrer Erdenfrist damit zu verbringen, über niederträchtige Taten zu schreiben, die nötige Zeit zum Begehen eigener hätte nutzen können, die bestimmt noch schlimmer gewesen wären als diejenigen, die man ihr tatsächlich vorgeworfen hat. Wir zeigen "Die zwei Gesichter des Januars" an diesem Dienstag beim siebten "F.A.Z.-Filmabend".
Das Format, das wir in Kooperation mit dem Streamingdienst Pantaflix entwickelt haben, wird regelmäßig einem Publikum mit F.A.Z.-Abonnement angeboten und beginnt stets mit einer kurzen Einführung in den Film. Von 19 Uhr an steht dann "Die zwei Gesichter des Januars" Abonnenten kostenlos zur Verfügung (zuvor kann der Film nur gegen Gebühr entliehen werden, diese Schranke wird jedoch mit Veranstaltungsbeginn für F.A.Z.-Abonnenten automatisch aufgehoben). Im Anschluss an die Vorführung diskutieren zwei gut vorbereitete Leute aus der Redaktion, nämlich Maria Wiesner und der Verfasser dieses Artikels, mit dem Publikum und miteinander. Um sich mit Fragen und Anregungen in das Live-Gespräch einzubringen, ist eine Registrierung auf FAZ.NET notwendig, alle technisch relevanten Informationen dazu finden Sie unter dem unten aufgeführten Link. DIETMAR DATH
Der Livestream des Films beginnt am heutigen Dienstag um 19 Uhr. Mehr zum Thema findet man unter faz.net/filmabend7
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