"So wie wir waren" aus der Zeit von Hollywoods schwarzer Liste war das so; in "Tootsie" wurde das Thema als Travestie verhandelt; und zuletzt ist Pollack in "Begegnung des Schicksals" darauf zurückgekommen, weil da zwei Menschen, die ihre Partner bei einem Flugzeugabsturz verlieren, erkennen müssen, daß die Toten eine Affäre hatten.
Sechs Jahre ist dieser Film alt, sechs Jahre, in denen Pollack Tykwers "Heaven", Minghellas "Cold Mountain" und "Der stille Amerikaner" produziert und eine diabolische Rolle in Kubricks "Eyes Wide Shut" gespielt hat. Aber anders als bei Kubrick führt der gemächliche Arbeitsrhythmus bei Pollack nicht zu musealem Beweiszwang. Natürlich sind seine Filme zu sorgfältig produziert, als daß man sie leichtfüßig nennen könnte, aber sie besitzen nicht jene Schwere, die sich sonst so gern einstellt, wenn einer selten arbeitet. Womöglich liegt das daran, daß ihn die fragilen Beziehungen im Mittelpunkt seiner Filme stets mehr interessieren als ihre gewichtigen Themen. Denn schließlich gilt ja auch für die Liebe, daß nicht bei einer Lüge ertappt zu werden etwas anderes ist, als die Wahrheit zu sagen.
In "Die Dolmetscherin" geht es um zwei Leute, die von Berufs wegen daran interessiert sein müßten, der Wahrheit so nah wie möglich zu kommen. Nicole Kidman spielt eine Simultandolmetscherin bei den Vereinten Nationen in New York, die zufällig von Attentatsplänen hört, Sean Penn einen Bundesagenten, der sich mit dem Fall befaßt. So wie es ihre Aufgabe ist, auch zwischen den Zeilen lesen zu können, damit es nicht zu Mißverständnissen kommt, so muß er hinter dem Erscheinungsbild der Menschen ihre Absichten zu ergründen suchen. Bei ihr geht es um Stimmen und Sprache, bei ihm um Blicke und Gesichter. Wenn diese verschiedenen Lesarten der Welt aufeinandertreffen, wirkt das wie ein Duell, bei dem die Dolmetscherin und der Agent jeweils versuchen, den Schutzschild des anderen zu durchdringen und dabei möglichst wenig preiszugeben: Ich sehe was, was du nicht hörst. Ich höre was, was du nicht siehst. Wie sich Nicole Kidman und Sean Penn belauern und mißtrauen, gehört natürlich zu den Stärken dieses Thrillers.
Die Dolmetscherin hat bei einer zufälligen Rückkehr an ihren Arbeitsplatz eine Unterhaltung gehört, in der vom Attentat auf einen afrikanischen Präsidenten die Rede war, der demnächst vor den UN sprechen soll. Jetzt fürchtet sie um ihr Leben, weil ihre Zeugenschaft in der Dolmetscherkabine nicht unbemerkt blieb. Der Agent, der ihrem Hinweis nachgehen soll, muß erst mal herausfinden, wie ernst ihre Aussage zu nehmen ist. Was er dabei über sie in Erfahrung bringt, scheint zunehmend ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Andererseits ist der Urteilsfähigkeit des Agenten nicht unbedingt zu trauen.
Zwei beschädigte Seelen, die im Schatten ihrer Erinnerungen ihre Wunden lecken und sich nichts anmerken lassen wollen, sind das Herz des Films und erinnern dabei an Redford und Dunaway in "Condor" wie auch an Harrison Ford und Kristin Scott-Thomas in "Begegnung des Schicksals". Die schwierigste Aufgabe dieser Paarungen ist es, die wahren Gefühle zueinander aus dem übermächtigen Schatten herauszulösen, der sie überlagert.
"Die Dolmetscherin" ist also kein gewöhnlicher Thriller, weil sich der Wettlauf gegen die Zeit überlagert mit jener anderen Bewegung, in der sich die beiden Helden umkreisen. Um herauszufinden, wie real die Bedrohung durch etwaige Attentäter tatsächlich ist, muß der Agent erst mal herausfinden, was die wirkliche Lebensgeschichte der Dolmetscherin ist, die in dem afrikanischen Land aufgewachsen ist, dessen Diktator umgebracht werden soll. Schicht um Schicht muß freigelegt werden, während sich die Schlinge immer enger zuzieht, und wie Sydney Pollack diese Gleichzeitigkeit der Ereignisse, dieses Nebeneinander von widerstreitenden Emotionen inszeniert, das machen ihm immer noch nur wenige nach.
MICHAEL ALTHEN
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