der Serienmörder - rein statistisch gesehen - irgendwann kreuzen müssten.
Früher zerbrachen sich Drehbuchautoren wochenlang den Kopf, um eine Gewalttat überzeugend zu motivieren. Für Morde galt das doppelt, von grausamen Morden ganz zu schweigen. Ein Serienmörder löst all diese Probleme auf einen Schlag; er ist die Weltformel für das monströse Verbrechen. Der Serienmörder exkulpiert per definitionem seinen Erfinder. "Seven" bot mit den sieben Todsünden noch ein Begründungsmuster für das Handeln des Täters und räumte damit ein, dass die Frage nach der Motivation für jede einzelne Bluttat ihre Berechtigung hat. Doch im Grunde war schon dieser Film eine Geisterbahn für Erwachsene, Grausamkeiten mit Schocks im Zehn-Minuten-Takt.
"Der Knochenjäger" bietet uns nicht einmal mehr das Skelett einer Figur, die hinter all den bestialischen Morden stehen könnte, sondern nur die Idee eines Serienmörders, der am Ende irgendein Gesicht gegeben wird. Die Verbrechen gehen nicht mehr vom Täter aus, sie werden einzig und allein auf den Adressaten hin entworfen: den Zuschauer. Wie muss jemand getötet werden, damit ein durchschnittlicher Kinogänger heute noch erschüttert ist? "Der Knochenjäger" gibt folgende Antwort: Man kette eine Frau vor das Rohr einer Fernwärmeleitung und warte, bis der heiße Dampf herausschießt. Wer dafür zu abgebrüht ist, dem kann auch dieser Film nicht helfen.
Später wird ein Mann in einem Kellerverschlag erst aufgeschlitzt und dann bei lebendigem Leibe von Ratten aufgefressen. Der Film blickt aus der Perspektive des Mannes auf eine Ratte, die sich ihm auf einem Stahlträger nähert, die Zähne bleckt und uns dann direkt ins Gesicht zu springen scheint. Der Schnitt in diesem Moment, der sich damit weigert, den Preis für die perfide Fantasie zu bezahlen, macht die Szene zum kompletten Ärgernis. Die Wirklichkeit, die in Angelegenheiten der Grausamkeit bisher immer noch das letzte Wort behielt, spürt den Atem eines hartnäckigen Verfolgers im Nacken. Das Kino kommt näher.
Heuchlerisch wirken die Anfälle ohnmächtiger Wut, die das Drehbuch seiner weiblichen Hauptfigur, der ermittelnden Polizisten Amelia Donaghy (Angelina Jolie), ab und zu verordnet. Gegen wen sollten sich ihre Gefühle richten, wenn nicht gegen die Hintermänner dieses Films: den Regisseur Phillip Noyce, den Drehbuchautor Jeremy Iacone sowie Jeffery Deaver, der die Romanvorlage schrieb. Sie sind sich nicht zu schade, am Ende zum letzten Mittel zu greifen und ein kleines Mädchen in die Hände des Schlächters geraten zu lassen. Selbst der oberflächliche Blick stößt immer wieder auf das Gerippe dieses Films, auf die simplen Strategien, mit denen er uns zu manipulieren versucht.
Seine wenigen starken Momente hat "Der Knochenjäger" in der ersten Hälfte, wenn er den Zuschauer mit den Methoden der Spurensicherung vertraut macht. Lincoln Rhyme (Denzel Washington) ist bei der New Yorker Polizei eine Koryphäe auf diesem Gebiet, aber seit einem Unfall querschnittsgelähmt. Vom Bett aus dirigiert er Amelia Donaghy durch die Tatorte. Im Handumdrehen wird die junge Polizistin zu einem Naturtalent erklärt, das sämtlichen Experten der Polizei überlegen sein soll. Der neue Chef der Spurensicherung wird überdies von Michael Rooker gespielt, dem üblichen Verdächtigen, der natürlich nicht der Schuldige ist. So erzählt "Der Knochenjäger" von sich selbst: Sogar ein Laie kommt den großen und kleinen Verbrechen auf die Spur, die bei diesem Film begangen wurden.
LARS-OLAV BEIER
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