niemals heimisch werden wird. Ein einfacher Blickkontakt bedeutet für ihn eine übermenschliche Anstrengung, selbst den eigenen Eltern vermag er nicht in die Augen zu schauen.
Der Film hat einen zweiten, erwachsenen Helden, dessen Gesicht in der ersten Einstellung von einer Kappe halb verschattet ist, so daß man einige Sekunden braucht, ihn zu erkennen. Bruce Willis spielt im "Mercurypuzzle" den Undercover-Agenten Art Jeffries, dessen wahre Identität geheimgehalten wird. Vor gut zehn Jahren verkörperte der Schauspieler in "Die Hard" den ersten Actionhelden der Filmgeschichte, der unaufhörlich mit sich selbst redete und gegenüber seinen Mitmenschen nur die Waffen sprechen ließ. Nun sitzt er nachts allein auf dem Sofa und schluckt Antidepressiva, um die Erinnerungen, die ihn rund um die Uhr bedrängen und die er weder mit Pistolen noch mit Muskelkraft bekämpfen kann, niederzuhalten.
Jeffries hat während eines Schußwechsels einen Jungen verloren, den er retten wollte, und damit auch ein Stück weit den Kontakt zur Wirklichkeit. Wie in all seinen Filmen ist Willis aufs neue der richtige Mann am falschen Ort, auf Schritt und Tritt in Feindesland, nicht fähig zu Begegnungen mit Menschen, sondern nur zu Konfrontationen. Kein anderer Schauspieler hält seinen Kopf so oft nach rechts und links versetzt, wenn er sein Gegenüber fixiert: Willis kann die Welt nicht anders als schief angucken. Mit diesem Blick, dem tiefes Mißtrauen eingeschrieben ist, versucht er im "Mercurypuzzle" die Grenze zwischen Gut und Böse zu erkennen, die zusehends verwischt. Ist Willis in der in Brauntönen gehaltenen Anfangssequenz im Kampfanzug allein unter Verbrechern zwar in höchster Gefahr, aber letztlich in seinem Element, muß er danach bei seinem Vorgesetzten antreten: Eingezwängt in grauen Zwirn, bewegt er sich durch ein Gebäude, in dem Metall und Blautöne dominieren.
Wer den Blick im Büro des Vorgesetzten schweifen läßt, entdeckt hinter Willis an der Wand eine Aufsicht der Stadt Chicago, die in Planquadrate unterteilt ist. Davon handelt der Plot: Wie die Welt mit einem Netz von Buchstaben und Zahlen überspannt wird, in dem sich die beiden Helden verfangen. Durch Zufall hat Simon einen militärischen Verschlüsselungscode geknackt und soll, zum nationalen Sicherheitsrisiko geworden, liquidiert werden. Knapp entgeht er einem Killer, der seine Eltern erschießt. Nur ein Mann, der selbst nie da ist, wo man ihn erwartet, kann Simon in seinem Versteck aufspüren: Art Jeffries. Dieser nimmt sich des Jungen an und gerät selbst in die Schußlinie. Bei einer kurzen Verschnaufpause während der Verfolgungsjagd sehen wir, wie Simon die letzten Teile in ein riesiges Puzzle legt, das die Form der Vereinigten Staaten hat. Das Puzzle ist monochrom und nicht zufällig in jener Farbe gehalten, die in diesem Film nichts Gutes verheißt: Blau. Spielend bekommt ein Neunjähriger das Land, für das ein Geheimdienstchef (Alec Baldwin) eiskalt töten läßt, in den Griff.
So feinfühlig die Szenen zwischen Willis und dem Jungen bisweilen gespielt und inszeniert sind, so grobschlächtig wirkt "Das Mercurypuzzle" auf der Thriller-Ebene. Den Killern ist der Charakter so deutlich ins Gesicht geschrieben, daß jeder Polizist sie aufgrund ihres Äußeren sofort in Präventivhaft nehmen müßte. Der Geheimdienstchef, der die Morde zu verantworten hat, taucht für eine halbe Stunde nicht mehr auf und büßt jegliche Präsenz als Gegenspieler ein. Die Mühelosigkeit, mit der Bruce Willis seine Figur ins Leben treten läßt, steht im schroffen Kontrast zu den überaus angestrengten Versuchen des Films, der hanebüchenen Geschichte Glaubwürdigkeit zu verleihen. Es gelingt dem Regisseur Harold Becker nicht, die Versatzstückezu einem Ganzen zusammenzufügen. Wie jemand, der bei einem Puzzle die Nerven verliert, schneidet er die Teile zurecht, in der vergeblichen Hoffnung, sie würden passen. LARS-OLAV BEIER
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