Broadway-Musical und in zwei Nachkriegsverfilmungen Triumphe: in Walter Langs "The King and I" mit Yul Brynner, der berühmtesten Filmglatze der fünfziger Jahre, und in John Cromwells Bilderbogen zur Völkerverständigung "Anna and the King of Siam" von 1946.
Was sichert dem naiven Kolonialmärchen Resonanz? Der Grundakkord von Exotik, Erotik und Realitätsferne. Das Remake überholt nun seine Vorbilder mit verschwenderischem Ausstattungsaufwand. An Beinahe-Originalschauplätzen in Malaysia rekonstruiert es gigantische historische Architektur. Üppig kommen Flora und Fauna, insbesondere prächtige Elefanten ins Spiel. Tennant betört und verstört den Zuschauer mit atmosphärischen Superlativen, zieht ihn hinein in Märkte, Menschenmengen, Monsunwälder und Menagerien. Die Überwältigung steigert sich mit Annas Ankunft in der königlichen Traumstadt: Labyrinthisch ist dieser verschachtelte Palast mit überwölbten Tordurchgängen, Tempeln, Pavillons, Säulenhallen, Terrassenanlagen und Fluchten von Repräsentations- und Thronsälen. Doch die aufrechte Engländerin lässt sich nicht beirren und tritt den buckelnden Höflingen und dem als Gott verehrten König erhobenen Hauptes entgegen.
Eine Traumrolle für Jodie Foster? So weit es an ihr liegt, gewinnt sie Profil und bezieht Position im west-östlichen Ping-Pong mit ihrem Gegenspieler, den der Hongkonger Action-Star Chow Yun-Fat routiniert und lächelnd verkörpert. Doch der aufwendige Rahmen schmeichelt ihr weniger, als dass er sie erdrückt. Choreografie und Dramaturgie gönnen ihr kaum Entfaltungsraum. So wird sie immer wieder aus dem Zentrum der Ereignisse an den Rand dominanter Kulissen gedrängt. Dies ergibt sich bei großen Katastrophen wie militärischem Verrat und den Übergriffen Burmas, aber auch schon bei begrenztem Aufruhr im Palast, etwa wenn Anna gegen die Misshandlung einer Sklavin oder gegen die Verurteilung einer Schönen kämpft, die sich nicht königlicher Begierde fügen, sondern selbst ihren Geliebten wählen wollte.
Zudem geht Anna oft unter in der schier unübersehbaren Schar von Kindern und Frauen des Königs. Zur Überraschung der Lehrerin verlangt nämlich nicht nur der Thronerbe nach englischer Bildung, sondern rund fünf Dutzend Sprösslinge von etwa ebenso vielen Gattinnen und Konkubinen drängeln sich im Schulpavillon. Der Film lähmt sich und verliert Kontur durch ständige Massenszenen. Kontraproduktiv lenkt er von Konflikten und vom Streit der Prinzipien ab, indem er die Aufmerksamkeit zu oft auf den gesamten Harem samt mandeläugigem Nachwuchs richtet.
Der stets gegenwärtige Erosreigen bringt auch die sich anbahnende Neigung zwischen Anna und dem König in Beweisnot. Wer könnte einem derart demonstrativen Sexroutinier plötzlich zarte Sublimation glauben? Hier im Herzstück überzeugt der Film kaum. Es bleibt ihm nur der westliche Tanz als erotische Pantomime: Walzer hat der Frauenheld noch mit keiner anderen als Anna getanzt. Das Finale feiert seine Bekehrung von Vielweiberei zu Exklusivität mit einer verkappten Liebeserklärung: "Bis zu diesem Augenblick", versichert er Anna, "habe ich die Meinung nicht verstanden, derzufolge ein Mann mit nur einer Frau glücklich werden kann." Zum Glück erlässt ihm Annas Abreise die Probe aufs Exempel.
EVA-MARIA LENZ
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