der es versteht, neue Möglichkeiten zu erkennen und mit Zähigkeit durchzusetzen. Ein anderes rätselhaftes Wesen ist übrigens der "Leader", dem vor allem die Managementprediger nachstellen, um ja nicht in die Nähe eines richtigen Ungeheuers, des Führers, zu geraten. Also ist bei manchem, das im Englischen das Suffix "-ship" trägt, Vorsicht geboten.
Aulinger interessiert sich für eine ganz bestimmte Form von Entrepreneurship. Er denkt an die Gründung und Entwicklung von Einpersonen-Unternehmen, die wissensintensive Dienstleistungen anbieten. Diese haben die Eigenschaft von "Kontraktgütern", weil sie interaktiv zwischen Anbieter und Nachfrager nach Vertragsabschluss und oft über einen längeren Zeitraum erzeugt werden. Individuelle Beratung wäre ein Beispiel dafür. Da die wenig transparenten Statistiken diesen Gründungstypus nur erahnen lassen - etwa 10 Prozent aller Neugründungen könnten solche wissensintensive Dienstleister sein - und die Gründungsförderung vor allem die technisch innovativen Unternehmen im Blick hat, fallen diese Entrepreneure bei der Förderung weitgehend durch den Rost. Was ihnen bleibt, ist, sich auf ihr "soziales Kapital" als entscheidenden Erfolgsfaktor zu besinnen.
Damit sind wir bei einem Schlüsselbegriff dieses Buches. Ein älterer, verwandter Begriff, das Humankapital, hat es immerhin zum Unwort des Jahres 2004 geschafft. Wie sehr sich die Frankfurter Juroren dabei vergriffen haben, zeigen die hellsichtigen Ausführungen Aulingers über die Logik des Sozial- und Humankapitals. Soziales Kapital liegt für ihn vor, wenn das Eingebundensein in bestimmte Sozialstrukturen Erträge abwirft. Das können zum Beispiel ein Zugang zu neuen Ressourcen, emotionaler Rückhalt in schwierigen Situationen, neue Kontakte oder ein Zugewinn an Vertrauenswürdigkeit und Reputation sein.
In einem weiten Bogen führt Aulinger den Leser auch gleich durch den Wald der wundersamen Gummiwörter, in dem sich noch andere Heffalumps herumtreiben. Etwa das "Wissen", das viele so gerne managen möchten, es aber dann doch mit Daten und Information verwechseln; oder das "Netzwerk", das angeblich selbstorganisierend ist, um dann in den Medien plötzlich eine "straffe Kommandostruktur" verpasst zu bekommen. Für wissensintensive Dienstleister sind jedenfalls die in Gründer-, Branchen-, persönlichen oder sonstigen Netzwerken aufgebauten sozialen Beziehungen in zweifacher Hinsicht lebenswichtig: Sie sind Ausdruck des unternehmerischen Erfolgs und zugleich dessen Voraussetzung. Soziales Kapital ist zum Glück "machbar", wie Aulinger schreibt. Mit der bloßen Herstellung von Kontakten oder dem Beitritt in ein Netzwerk ist es aber nicht getan. Es sei ratsam, das soziale Kapital regelmäßig zu bewerten (zu "bilanzieren") und zu planen. Praktische Hinweise hat der Autor dafür parat.
Auch die Ökonomen David Audretsch, Max Keilbach und Erik Lehmann, denen das Max-Planck-Institut für Ökonomik in Jena als Kristallisationspunkt ihrer Publikation diente, sind der Entrepreneurship auf der Spur. Anders als Aulinger, den letztlich die Person des Entrepreneurs interessiert, hievt das Team um Audretsch das Faszinosum "Entrepreneurship" auf die makroökonomische Ebene. Ausgangspunkt ist das neoklassische Modell Robert Solows, nach dem wirtschaftliches Wachstum von den Investitionen in Sachkapital und dem technischen Fortschritt - allerdings als exogene Größe - abhängt.
In der Solow-Ökonomie nach dem Zweiten Weltkrieg spielten die Großunternehmen mit ihren Skaleneffekten die Hauptrolle im Streben nach Wirtschaftswachstum. Von John Kenneth Galbraith bis Alfred Chandler war man sich einig, dass kleine Firmen nur die Verlierer sein können. In Europa plädierte Jean-Jacques Servan-Schreiber für die Konzentration auf 50 bis 100 Riesenunternehmen, um den Vereinigten Staaten Paroli zu bieten. Aber auch der Ersatz von Sachkapital durch Wissen, wie er der endogenen Wachstumstheorie Paul Romers und anderer folgend vorgenommen wurde, änderte nichts an der Vormachtstellung der Großen. So stand man bald vor dem "Europäischen Paradox": Trotz massiver Investitionen in Universitäten und Forschung konnten die europäischen Unternehmen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht steigern. Das neu generierte Wissen war offensichtlich irgendwo steckengeblieben. "Wissensfilter" behinderten die nötige Wissensübertragung ("Knowledge Spillover").
Hier zeigt sich wieder einmal die Kluft zwischen den Niederungen der Mikroökonomie und den luftigen Höhen der großen Zusammenhänge. Ob und wie Wissen tatsächlich erzeugt, verwoben und verbreitet wird, ficht hier oben niemanden an. Aulinger hätte schon laut gerufen: "Heffalump!" Egal - das Mittel gegen wachstumshemmende Wissensfilter heiße Entrepreneurship, meinen die Autoren. Durch Neugründungen sei es möglich, immer wieder andere Wissensquellen anzuzapfen. Das klassische Beispiel dafür ist die Gründung von SAP durch ehemalige IBM-Mitarbeiter. IBM hatte den Wert der Idee einer Business-Software nicht erkannt, die späteren SAP-Leute stiegen aus und gründeten eine eigene Firma. Für die Autoren ist dieser Knowledge-Spillover das fehlende Glied einer zeitgemäßen Theorie des Wirtschaftswachstums.
Das bedeutet aber auch, dass die schumpetersche schöpferische Zerstörung mehr und mehr einer konstruktiven Art des Unternehmertums weicht. Überall dort nämlich, wo sich eine Wissensübertragung entfalten kann, verwirklichen clevere Köpfe Ideen, die ansonsten versandet wären. Eingesessene Unternehmen werden nicht verdrängt, sondern sie lernen, sich gemeinsam mit den quirligen Neugründungen weiterzuentwickeln. So entsteht Wachstum. Und - was nicht zu unterschätzen ist - die öffentlichen Investitionen in Bildung und Forschung beginnen sich zu rentieren.
Bei aller klinisch sauberen Argumentation spürt man in diesem Buch doch etwas von der Begeisterung der Autoren für ihr Thema. Vielleicht springt dieser Funke auf die Politik über. Schließlich steht und fällt die ehrgeizige Lissabon-Strategie der Europäischen Union mit dem Gedeihen kleiner und vor allem neuer Unternehmen.
HEINZ K. STAHL
Andreas Aulinger: Entrepreneurship und soziales Kapital. Verlag Metropolis, Marburg 2006, 439 Seiten, 38 Euro.
David Audretsch/Max Keilbach/Erik Lehmann: Entrepreneurship and Economic Growth. Oxford University Press, Oxford 2006, 227 Seiten, 65 Euro.
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