Streit hat der Augsburger evangelische Systematiker Bernd Oberdorfer nun ein Standardwerk vorgelegt.
Die Auseinandersetzungen um das Filioque sind ein klassisches Beispiel für kirchliche Ranküne, machtpolitischen Kalkül, interkulturelle Mißverständnisse - und für ein ernsthaftes theologisches Problem. Es geht dabei um einen Zusatz zu dem griechischen Bekenntnis, das auf das Zweite Ökumenische Konzil von Konstantinopel 381 zurückgeht und in der Forschung meist als NC oder (besser) C bezeichnet wird, in den kirchlichen Sprachgebrauch jedoch unter dem irreführenden Namen "Nizänum" eingegangen ist, weil man es mit dem Ersten Ökumenischen Konzil von Nizäa 325 in Verbindung brachte. In Konstantinopel bekannte man im dritten Artikel von C, der Geist gehe "vom Vater" aus. In dieser Form ist C auch von den orthodoxen Kirchen des Ostens übernommen worden. In der im Westen tradierten lateinischen Fassung des Bekenntnisses hingegen ergänzte man die Worte "Wir glauben an den Heiligen Geist ..., der aus dem Vater hervorgeht" um den Zusatz "filioque", so daß er nun lautete: "der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht".
Warum ist dieser Zusatz theologisch von Bedeutung? Ihm liegt ein unterschiedliches Verständnis von Trinitätslehre im Westen und im Osten zugrunde. Der Westen stand dabei immer unter dem Eindruck der Trinitätslehre Augustins, der gewissermaßen die vollkommene "Balance" der drei göttlichen Personen in ihren wechselseitigen Beziehungen herauszustellen suchte. Unter dieser Voraussetzung kam es Augustin korrekt darauf an, den Ursprung des Geistes nicht nur im Vater, sondern auch im Sohn zu betonen, um eine Herabminderung Christi unter allen Umständen zu vermeiden und um die heilsgeschichtliche Bedeutung des trinitarischen Geschehens zu sichern. Im griechischsprachigen Christentum des Ostens dagegen hegte man - abgesehen von Einwänden gegen die unzulässige Änderung eines inzwischen ökumenisch anerkannten Konzilstextes - die Befürchtung einer westlichen "Aufweichung" des Monotheismus. Auch glaubte man die Schrift auf seiner Seite (Johannes 15, 26).
Diese Differenzen hätten nun durchaus nebeneinander bestehenbleiben können. Doch durch Karl den Großen wurden sie zum (Kirchen-)Politikum, als dieser nämlich das Filioque für seine Machtsphäre verbindlich machte und auch den Papst zur Übernahme zu bewegen suchte, wogegen dieser sich zunächst noch standhaft weigerte, auch wenn er theologisch mit Karl durchaus konform ging. In dem ersten, mit den Namen des Konstantinopeler Patriarchen Photius und Papst Nikolaus I. verbundenen Schisma zwischen Ost und West (863/67 bis 880) sowie in dem Konflikt von 1054, der Byzanz und Rom endgültig entzweien sollte, spielte das Filioque allenfalls eine marginale Rolle.
Dies ist vor allem für das letztere Ereignis um so bemerkenswerter, als Papst Benedikt VIII. vier Jahrzehnte zuvor C mit dem Filioque in die römische Meßliturgie eingefügt und damit die fränkische Praxis endgültig legitimiert hatte. Während der kirchliche Dissens 1054 zunächst primär kultische und erst in zweiter Linie dogmatische Fragen betraf, traten letztere dann aber doch "differenzverstärkend und -legitimierend" hinzu und gewannen dabei "im Laufe der Zeit ein kontroverstheologisches Eigenleben, was es kaum mehr möglich erscheinen läßt, sie von dieser ihrer differenzbegründenden Funktion abzuheben". Seither wird zwischen Griechen und Lateinern (zu letzteren sind auch die Protestanten zu rechnen) um das Filioque gestritten.
Oberdorfers Überblick über die Problemgeschichte konzentriert sich auf die Knotenpunkte. Seine eigentliche Stärke liegt in der Darstellung der systematisch-theologischen Implikationen. Erfreulicherweise bedient er sich dabei einer Sprache, die weitgehend auf unnötigen Jargon verzichtet und somit auch dem verständlich ist, der nicht in den Amtszimmern akademischer Theologen ein und aus geht.
In den letzten Jahrzehnten ist hier und dort eine Annäherung zwischen Westen und Osten bezüglich des Filioque zu beobachten. Auch die römisch-katholische Kirche ist mittlerweile bereit, C ohne diesen Zusatz als dogmatische "Geschäftsgrundlage" anzuerkennen, wobei sie sogar weiter geht als etwa die deutschen Lutheraner. Dieser irenischen Tendenz ist auch Oberdorfer zuzurechnen, denn er begründet völlig plausibel, warum der Westen sich nichts vergeben würde, wenn er auf diesen ohnehin nicht zum ursprünglichen Bekenntnistext gehörigen Zusatz verzichtete. Bei einer Differenzierung zwischen Bekenntnistext und dogmatischer Explikation wäre durch einen Verzicht auf das Filioque theologisch nichts präjudiziert. Der Westen könnte C weiterhin auslegen im Sinne einer engen Bindung des Geistes auch an den Sohn, deren Spezifikum dann allerdings erst noch zu klären wäre, wobei sich diese Klärung - angesichts eines veränderten Gottesverständnisses in der Moderne - nicht ohne weiteres einfach in einer Wiederholung der altkirchlichen Positionen erschöpfen könnte.
Ist die Angelegenheit damit vom Tisch? Wohl kaum. Im "Marburger Jahrbuch Theologie" (2000) muß sich Oberdorfer des Vorwurfs aus den eigenen Reihen erwehren, die "ausschlaggebende Kategorie lutherischer Theologie, nämlich die Rechtfertigung", aufs Spiel zu setzen, sei doch "Luthers gesamte Theologie inhaltlich" nichts Geringeres als "eine Entfaltung des ,filioque'". Oberdorfer pariert diese Attacke erfolgreich in der ihm eigenen, punktgenau argumentierenden Diktion und macht damit deutlich: Der Fortgang der begrifflichen Arbeit an der Trinitätslehre bleibt legitime und notwendige Aufgabe der Universitätstheologie; unter den Kirchen hingegen sollte der Streit um das Filioque als einer der Trennungsgründe zwischen Ost und West endgültig zu den Akten gelegt werden.
WOLFRAM KINZIG
Bernd Oberdorfer: "Filioque". Geschichte und Theologie eines ökumenischen Problems. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001. 628 S., geb., 99,- [Euro].
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