erhabener Verzückung, wo sich Selbsttäuschung und Verdrängung vorsichtig ducken.
Die Typen, die in ihren Geschichten auftreten, sind aus dem Leben entliehen: Wir sehen langsam verbleichende und durch jüngere Objekte ersetzte Schriftstellergattinnen, die den Rest ihrer Lebenskraft darauf verwenden, das entschwundene Eheleben zu fingieren. Fräuleins, die geschickt zwischen zwei Männern lavieren. Einen Vertreter des Liebesverrats, der sich zur delikaten Gewinnmaximierung alle Möglichkeiten offenhält und mit einer Bauchlandung endet. Eine verhärmte Blumengießerin, die in fremden Wohnungen nach Spuren von Leben fahndet und hinter dem Rollschrank einen Mann findet.
Im Zentrum dieser Texte sind also stets originelle Einfälle versteckt. Und die Manöver in der Sparte Verstrickung und Debakel gelingen Judith Kuckart schon deshalb, weil sie die Balance zwischen ironischem Auslachen und neugieriger Anteilnahme problemlos aushält. Als Nachteil erweist sich die Fokussierung auf dieses Thema auf die Länge dann aber doch wieder: Spätestens dann nämlich, wenn sich nach all den Capriccios im Leser die Einsicht festsetzt, daß Damenliebe und -leben, literarisch gesehen, auch zur Beschränkung werden können, wenn die große Welt in der kleinen Welt ausgespart bleibt.
Das sind Vorbehalte, die man neben den Vorzügen dieser Erzählungen durchaus nennen muß. Beobachten kann man die erzählerischen Qualitäten allerdings gleich in der Titelgeschichte. Judith Kuckart verfolgt die Irrbewegungen der abgesetzten Gattin, die sich standhaft weigert, dem eigenen Schicksal ins Auge zu blicken. Eines Nachmittags trifft sie mit Koffern und Hund in der Stiftung ein. Sie stellt sich dem Leiter als Vertreterin ihres Mannes vor, dem die Stadtschreiberstelle auf dem Schloß zugesprochen wurde. Der berühmte Schriftsteller Oskar Stosskopf komme später nach, sagt Olga Stosskopf, er werde aufgehalten durch Verpflichtungen. Die Frau mit den mädchenhaften Kniekehlen und dem alternden Körper legt sich morgens eine dicke Schicht Niveacrème über die Augenringe. Ob sie "mein Mann oder nein Mann" sagt, ist nicht immer zu verstehen, da sie undeutlich spricht. Das hat sie nun also von diesem "Mann, der immer nur glänzt in ihrem Leben. Durch Abwesenheit." Eine böse, eine hellsichtige Geschichte, die Judith Kuckart mit einer kleinen Schadenfreude entwickelt und einem witzigen Ende zuführt, in dem ein Hundeherz als Stellvertreter-Opfer zerrissen wird.
Ein Überraschungseffekt ist ebenfalls in "Die Blumengießerin" verpackt, der in der Einsicht der ledigen Bediensteten kulminiert, daß hinter allem etwas anderes liege. In diesem Fall verbergen sich ein Mann und ein Stapel von Couverts mit erotischen Fotos, schön numeriert und mit Adressen und Aufnahmedaten versehen, im Schrank. Der Mann, der zu den Schnappschüssen gehört, ist zwei Jahre jünger als der Vater der Blumengießerin. Ein einsamer, aber zärtlicher Herr, doch beziehungstechnisch eine Enttäuschung. Frauenliebe verschafft er sich aus der ungefährlichen Distanz, im Polaroidverfahren. Er schreibt den ganzen Tag in kleine, schwarze Hefte und macht sich dabei wichtig.
Diese Figur gehört zum Set der häufig ziemlich viel älteren Männer, die in Judith Kuckarts Geschichten jüngeren Frauen gegenüberstehen. Die Männerporträts gelingen ihr durchwegs. Sie formt sie mit psychologischem Scharfsinn und abgeklärter Ironie. Mit geringem sprachlichem Aufwand werden die Bilder hingetupft. Dabei bleibt genügend Raum, damit sich der Leser seine Sache selber denken kann. Fast hat man den Eindruck, man könnte all die Unhelden, die durch Judith Kuckarts Geschichten geistern, wie Puzzleteile zusammensetzen und am Ende würde einem das immer gleiche Gesicht aus den Buchseiten entgegenwinken. Bei den weiblichen Figuren dagegen fällt auf, daß ihre Identität ab und zu nicht kohärent mit Sprache und Denkleistung korrespondiert. Die schlichte "Blumengießerin" spricht wie eine Intellektuelle, während die tumbe "Dorflehrerin" ihr Verhängnis auf dem Niveau einer psychoanalytisch Gebildeten reflektiert.
Ein spannender Fall ist die Figur des Wendisch, Protagonist der letzten Geschichte in der Sammlung. Sie ist exemplarisch für das ganze Buch und als Typ am besten gelungen. Beim sprechenden Namen denkt man unwillkürlich an einen Wendehals, und so präsentiert sich der Mann denn auch. Ein erfolgreicher Romanautor mit Preisen, Frauen, Reisen und Suchtproblemen. Die Frauen, schreibt Judith Kuckart, die ihrem Helden nichts erspart, lieben ihn dafür, daß er die Frauen liebt. Ein anziehendes Exemplar mit monströsen Zügen. Die Schatten des alten Mannes haben noch lange nach der Trennung das Leben der Dorfschullehrerin verdüstert. Doch mit der Zeit hat sie die seelische Fähigkeit verloren, sich Täuschungen zu überlassen.
Als sie ihn Jahre später wieder trifft, ist sie mit dem jüngeren Clemens liiert, der den Rivalen kühl taxiert: Dieser sei ein Autor, der für Frauen kurz vor der Menopause seinen Namen auf die erste Seite seines Romans schreibe. Judith Kuckart gelingt es in dieser Abrechnungs- und vielleicht auch Rachegeschichte, ihren Figuren mit der notwendigen Härte und der gebotenen Zärte auf den Leib zu rücken und dabei der alten Geschichte von Mann und Frau und der energischen Befreiung aus dem Netz eine leichtfüßige Variante hinzuzufügen.
PIA REINACHER
Judith Kuckart: "Die Autorenwitwe". Erzählungen. DuMont Buchverlag, Köln 2003. 172 S., geb., 17,90 [Euro].
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