verstanden werden. Die von Rösinger geschilderte Tour führt nicht nur durch die deutsche Grammatik mit all den bekannten Schwierigkeiten - oder wer kann schon einfach erklären, wie mit starken, unregelmäßigen Verben umzugehen ist? Sofern man sich überhaupt einig ist, ob es nun starke oder unregelmäßige sind oder nicht doch beides gilt, wie eine Anekdote veranschaulicht, die viel mehr über "männliches Dominanzverhalten" erzählt als über Linguistik.
Andere Szenen beschreiben konfliktreiche Sprachverwirrungen, zugleich erlebt der Leser eine ernüchternde Exkursion durch die deutsche Behördenlandschaft nebst einem Dschungel aus Lehrsätzen und Vorschriften, mittendrin ein paar Biodeutsche, und das alles zur Hochphase der sogenannten Flüchtlingskrise.
Abgesehen von Adjektiven, Wechselpräpositionen und Redemitteln geht es hier um Asylrecht und eine Bleibeperspektive, um Notunterkünfte und das berüchtigte "LAGeSo" in Berlin ebenso wie um Polygamie, Pop, Mülltrennung oder Analphabetismus. Und natürlich immer wieder auch um Kreuzberg und Berliner Stadtgeschichten, denn es ist eine sehr persönliche Schilderung der Verhältnisse, in die Christiane Rösinger, Jahrgang 1961 und ein Urgestein der Berliner Musikszene, gerät, als sie sich 2015 im "Spät-Summer-of-Love" selbst aufmacht, Deutsch als Zweitsprache zu unterrichten.
Im Jahr 2015 beantragten 1 322 825 Menschen Asyl in den Ländern der Europäischen Union, 2016 waren es 1 259 555, und was das im Einzelnen bedeutet, kann man nach der Lektüre von "Zukunft machen wir später" zumindest erahnen, ohne die vielleicht gefürchtete Ekstase im Ehrenamt überblättern zu müssen oder sich mit der gerade wieder neu entfachten Diskussion um Obergrenzen herumzuschlagen. Rösinger nimmt sich dem Thema mit Humor und der ihr eigenen Lakonie an. Die auch als Melancholikerin bekannte Autorin gibt sich "konsequent zugewandt". Zunächst hat die Germanistin mit Hochschulabschluss jedoch vor allem die eigene Rente (180 Euro monatlich von 2021 an) im Blick. Nach dreißig Jahren des prekären Singer-Songwriter-Daseins schaut sie sich deshalb nach einer Lehrtätigkeit um, ohne zu verschweigen, dass sie Lehramtsstudenten einst für noch langweiliger als alle anderen hielt. Ihre akute Sehnsucht nach einer regelmäßigen, "nichtkreativen" Arbeit lässt sie bald einen unbezahlten Job antreten, in dem sie ihre ersten Erfahrungen mit Sprachbegabten, Beflissenen, Nullcheckern und Problemjugendlichen macht.
Wer Rösinger jemals bei einer Lesung oder auf der Bühne mit ihrer Band "Britta", den "Lassie Singers" oder solo erlebte, hat ihre Stimme im Ohr, wenn die Teilnehmer, die aus mehr als zwei Dutzend Ländern stammen, in offenen Kursen mit feierlichem Gesichtsausdruck ihren Wortschatz anhand von Einkaufsdialogen erweitern. Und vor dem inneren Auge sieht man sie, Schattentänze beim Picknick vollführen und verzweifelt versuchen, das Verb "backen" pantomimisch zu erklären oder mit Hilfe einer Micky Maus aus Plüsch irgendwelche Präpositionen auszudrücken. Ob sie sich nun dem Nahostkonflikt im Klassenzimmer stellen, ein Mützenproblem lösen oder gar Mark Twain angesichts eines Rockdilemmas heranziehen muss: Es ist unterhaltsam und durchaus bildend, mit Christiane Rösinger die Verwandlung zur Integrationsfachkraft zu vollziehen. Auf den Dativ würde man trotzdem ungern verzichten, wie Twain es empfiehlt.
Sie, die Bauerstochter aus Baden, die bittersüß wie keine andere den "zukünftigen Exfreund" zelebrieren kann - und nach all den Jahren das "Lob der stumpfen Arbeit" singen, wie auf ihrem aktuellen Album "Lieder ohne Leiden", beschönigt nichts. Nicht einmal Possessivpronomina. Sie huldigt aber der deutschen Sprache, nicht zuletzt mit ihrer betörenden Kleist-Vertonung "Das gewölbte Tor", und regt zum Nachdenken an. Indem sie zum Beispiel schreibend den Wortbildungen mit -ling nachfühlt, die häufig stark abwertenden Charakter hätten. "Nur der Frühling und der Schmetterling sind durchweg positiv besetzt. Der Flüchtling aber leider nicht."
SONJA KASTILAN
Christiane Rösinger: "Zukunft machen wir später". Meine Deutschstunden mit Geflüchteten.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017. 224 S., br., 12,99 [Euro].
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