insofern ein anderer, als er erstens eine terminologische Umorientierung von der "phantastischen" zur "magischen" Literatur einleiten möchte, zweitens überhaupt nicht nur von Literatur die Rede ist. Tatsächlich ist die Berliner Habilitationsschrift zu großen Teilen mit dem magischen, okkultistischen und parapsychologischen Schrifttum der Zeit zwischen 1880 und 1945 befaßt - ich nenne nur "Die Philosophie der Mystik" von du Prel (1885), den "Traité méthodique de science occulte" von Papus (1891) oder die Materialisationsphänomene von Schrenck-Notzing (1923) -, wobei nicht immer deutlich wird, ob die Schriften von Okkultisten oder Okkultismushistorikern stammen.
Eine weitere Quelle für die Präsenz magischer Praktiken ist für Stockhammer die Ethnologie, meist mit Rücksicht auf Malinowski oder Hubert/Mauss. Hinzu kommt die aus anderen Gründen problematische Nachbarschaft der seriösen Wissenschaften, die sich gelegentlich mit magischen Dingen zu beschäftigen scheinen (Charcot, Freud, Max Weber). Dem Zusammenhang dieses heterogenen Schrifttums wird nun jene Literatur der Zeit hinzugesellt, in der okkulte Praktiken thematisch werden, etwa bei Stoker, Huysmann, Perutz oder Kubin, oder die sich selbst "magisch" hervorbringt (Mallarmé, Yeats, Roussel). Sie alle bezeichnet Stockhammer als "Zaubertexte" oder - noch emphatischer - als "Zaubertextverbund". Die Nachteile dieses Verfahrens liegen auf der Hand.
Zunächst einmal wird nicht klar, ob die Ausbreitung okkulter Theorien - wenn hier von "Theorien" die Rede sein kann - als Voraussetzung gelingender Literaturinterpretationen angesehen werden soll. Jedenfalls wird das nicht vorgeführt, da das Buch keine konsistenten Interpretationen literarischer Texte enthält. Vielmehr kommt die Literatur immer nur fall- und auszugsweise in Betracht, wenn von künstlichen Menschen, Vampiren oder schwarzen Messen die Rede ist. So treten einzelne Romangestalten (van Helsing, Doctor Moreau) immer wieder auf, ohne daß die Texte als ganze in den Blick kommen. Es entsteht eine aperçuhafte Betrachtungsweise, die auf wenigen Seiten die verschiedensten Kontexte versammelt: von Charcot und Freud über Stoker und Wells zu Hanns Heinz Ewers und Breton.
Nun gibt es auf dem Gebiet der Okkultismusgeschichte zur Zeit kaum einen einschlägigeren Fachmann als Stockhammer. Es ist deshalb zu akzeptieren, daß es sich nicht, entgegen der Versicherung des Vorworts, um eine "literaturwissenschaftliche" Arbeit im strengen Sinne handelt, vielmehr um eine kulturtheoretische Studie. Was die Verabschiedung des Terminus "phantastische Literatur" zugunsten der Einführung "magischer Bücher" angeht, so erscheint dies weder nötig noch triftig. Umgekehrt erscheint die Umdeutung einer gelegentlich zu beobachtenden "Sprachmagie" zum Textklassenmerkmal als eine Übertreibung, da hier von Magie - selbst wenn die Autoren gern einmal davon sprechen - offenbar nur in einem metaphorischen Sinne die Rede ist. Walter Benjamins Vorsichtsmaßnahme, solche Texte nur "zur Not" magisch zu nennen, erscheint deshalb angebracht.
Stockhammer bemerkt einmal zu Recht: "Der vom inflationären Gebrauch des Wortes geplagte Leser mag kopfschüttelnd fragen, was nun gar an einem Ameisenbau ,magisch' sein soll." Zwar wird die Frage im folgenden plausibel beantwortet, insgesamt scheint allerdings die Ausdehnung des Magischen als eine Hypothek, insbesondere weil dabei mit Suggestionen - "Die Diagnose, ,daß wir am Beginn eines neuen magischen Zeitalters stehen', gehört inzwischen zum Gemeingut" - verfahren wird. Als ein Höhepunkt solcher Bemühungen erscheint es, wenn Prousts "Recherche" mit ihrer Bezeichnung des Schlafs als einem hypnotischen Phänomen dem Korpus der "magischen Bücher" angenähert werden soll.
Ein anderes Mittel der Aufwertung besteht in der Kombination kontextferner Zitate, die von weniger übel beleumundeten Autoren, die gleichwohl auch einmal von "okkulter Praxis" sprechen, bezogen werden. Offenbar bringt der Gegenstand es mit sich, daß ein defensiver oder auch werbender Ton in die Darstellung eindringt. Wer einmal die Traktate von Carl du Prel oder Albert Freiherr von Schrenck-Notzing gelesen hat, wird Stockhammers Motiv verstehen. Das am Ende mitgeteilte "Teilergebnis einer Suche nach ,Magic Software' im Internet (31.05.1999)" scheint auch nurmehr recht lose mit dem Ganzen verbunden zu sein.
UWE JAPP
Robert Stockhammer: "Zaubertexte". Die Wiederkehr der Magie und die Literatur 1880-1945. Akademie Verlag, Berlin 2000. 304 S., geb., 98,- DM.
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