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Vittorio Hösle weist sich durch sein philosophisches Denken als Kulturmensch aus sowie dadurch, daß er im vergangenen Jahr für die amerikanische Zeitschrift "Film and Philosophy" einen Essay über Woody Allen veröffentlichte. Dieser "Versuch" liegt nun auf deutsch als eigenständiger Band vor, dessen bescheidene Form bei einem Autor auffällt, der 1987 als junger Philosoph durch seine zweibändige Studie zu "Hegels System" Furore machte und seitdem mit kaum geringerer Regelmäßigkeit als der Filmemacher Allen Jahr für Jahr neue Produkte seines nie rastenden Geistes auf den Markt geworfen hat. Auch die erkennbaren Nebenwerke - eine Kategorie, die in Allens OEuvre fehlt - verkauften sich meist glänzend - auch das ein Unterschied zu Allen, der zwar als Regisseur hochangesehen ist, aber als Kassengift gilt, vor allem in Amerika, wo die New Yorker Zuschauer traditionell mehr als die Hälfte des gesamten Publikums bei seinen Filmen stellen.
Wie Woody Allen neigt der in den Vereinigten Staaten lehrende Philosoph zum atemlosen Sprechen, seine hohe Stimme drechselt die Sätze bis zur Manieriertheit - nur ist das nicht komisch. Ganz anders bei Allen, der seine Pointen auf erstaunliche Weise, nämlich immer noch in der Art eines Stegreif-Komödianten, der er ja einmal war, setzt: Bis in die kleinste Nuance ausgefeilt, wirken die Witze, Kalauer und Bonmots trotzdem spontan, weil Allen sie wie beiläufig in den Redefluß einstreut. Seine Komik ist eine der Dosierung. Die Nebenfiguren - und neben Allen wird nahezu jeder Schauspieler zu einer solchen - haben keinen spezifischen Humor, sie sind witzig durch Überraschung. Allen selbst dagegen ist witzig durch Erwartung. Sein Publikum weiß im Voraus: Haha, das wird komisch!
Das macht seine Fangemeinde jedoch auch so blind für die mißlungenen Komödien ("Schmalspurganoven" als jüngstes Beispiel) und so gespürlos für die ambitionierten Projekte, die gar keine Komik liefern wollen ("Innenleben" als gelungenstes Beispiel). Und so anfällig für Überschätzungen. Hösle ist da keine Ausnahme: "Es mag durchaus sein, daß eine sorgfältige Analyse seines Werkes eine Verbesserung der bisher entwickelten Haupttheorien des Komischen zur Folge haben wird." Natürlich "mag" das sein. Aber Hösle nimmt die notwendige Bedingung für eine hinreichende und reduziert das Werk nach Philologenart auf Belegstellen: Aha, das wird komisch! Nur selten würdigt er dabei, was als Allens größte Leistung gelten muß: die Fähigkeit zur Selbstironie. Aber wie sollte das ein Philosoph auch tun, der mit Woody Allen eine Theorie des Komischen begründen will und ihn somit ernst nehmen muß? "Während Ironie Scherz ist, der sich hinter dem Ernst versteckt, ist Humor der hinter dem Scherz versteckte Ernst", paraphrasiert Hösle Schopenhauer. Will der Autor eines Sachbuchs nicht ironisch schreiben, muß er Ernst hinter Ernst verstecken. Genau das ist hier passiert.
Nun gibt es aber eine Passage in Hösles Buch, die das Phänomen der Selbstironie explizit macht: "Der intelligente Lacher muß anerkennen, daß das Subjekt, über das er lacht, nicht grundsätzlich von ihm selbst unterschieden ist. Er mag selbst einige der karikierten Züge besitzen, aber auch wenn das nicht der Fall ist, wird er wissen, daß sie menschliche Züge sind und daß er als Mensch diese oder wenigstens analoge sehr wohl entwickeln könnte." Der intelligente Leser muß anerkennen, daß dieser Text, über den er nachdenkt, nicht grundsätzlich von seinen Gedanken unterschieden ist. Aber es hat auch etwas Anmaßendes - im Falle des Lachers wie des Lesers -, nur wieder sich selbst als Gegenstand verhandelt zu sehen. Woody Allen hat es geschafft, eine Kunstfigur zu inszenieren, die ein Kunstwerk ist. Und als solches hat sie gerade nach Hösle Anspruch auf eine vorrangige Berücksichtigung des Ästhetischen gegenüber der Rezeption.
In "Hannah und ihre Schwestern" tritt Allen als der hypochondrische Komödienproduzent Mickey Sachs aus einem Krankenhaus, in dem gerade seine Befürchtungen zerstreut wurden, an einem Gehirntumor zu leiden. Doch dieser Mann tritt nicht aus dem Krankenhaus, er fliegt, er rennt, hüpft und jubelt, dazu ertönt ein mitreißender Big-Band-Rhythmus. Doch nach wenigen Sekunden verstummt die Musik, Mickey sackt in sich zusammen und schleicht davon. Er flüchtet nach der guten Nachricht in eine neue Furcht, eine metaphysische Hypochondrie: "Alles ist bedeutungslos. Ich sterbe nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann werde ich in diese Lage kommen." Der Witz ist, daß er recht hat. Trotzdem lachen wir. Mit Hösle ist es ähnlich: Seine Erinnerungen an einzelne Passagen in Allens Filmen sind im Gestus desselben Jubels geschrieben wie der Freudentanz des Mickey Sachs. Doch dann sackt die philosophische Prosa in sich zusammen und schleicht sich davon, weil ihr Autor erkannt hat, daß alles bedeutungsvoll ist.
So wird die kleine Studie ungewollt zu einer Satire auf die Beschäftigung mit Woody Allen. Jean-Luc Godard ist das in seinem Film "Meetin' WA" ähnlich widerfahren. Beide Arbeiten über Allen sind nicht komisch, aber das ist nicht notwendig für eine Satire. Jean Paul, der in Hösles Erörterung des Komischen unbegreiflicherweise fehlt, hat dazu in der "Vorschule der Ästhetik" ausgeführt: "Das Reich der Satire stößet an das Reich des Komus; aber jedes trägt andere Einwohner und Früchte."
Denn "das Komische treibt mit dem Kleinen des Unverstandes sein poetisches Spiel und macht frei und heiter . . . Torheit ist zu schuldlos und unverständig für den Schlag der Satire, so wie das Laster zu häßlich ist für den Kitzel des Lachens, obgleich an jener die unmoralische Seite verhöhnet und an diesem die unverständige belacht werden mag." Das ist eine schöne Beschreibung der Komik Woody Allens. Sie beruht auf Torheit, auf der prinzipiellen Unausgewogenheit der Äußerungen seiner Charaktere, etwa des Vaters von Mickey Sachs, der das Theodizeeproblem seines Sohnes mit der Bemerkung abtut: "Wie soll ich wissen, warum es Nazis gab? Ich weiß ja nicht einmal, wie der Dosenöffner funktioniert."
In einem Satz trennt Jean Paul die Satire von der Komik: "Dort findet man sich sittlich angefesselt, hier poetisch freigelassen." Freiheit ist gleichfalls für Hösle eine Errungenschaft der Komik, doch er stempelt Allen zum Ethiker ab: In jedem Scherzbold muß ein ernsthafter Charakter stecken, sonst könnte er ja, qua Hösles Definition, gar nicht komisch sein. Aber damit würde er unfreiwillig komisch, weil ihn der Ernst dazu zwingt. Ist die Freiheit, die uns Komik eröffnet, erkauft mit der Versklavung der Komiker? Der Philosoph zwingt sie vor der Moral auf die Knie.
Vittorio Hösle: "Woody Allen". Versuch über das Komische. C. H. Beck Verlag, München 2001. 128 S., 13 Abb., br., 28,- DM.
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