kommen keine Flugzeuge vor. Der leidenschaftliche Autofahrer Stasiuk schreibt wie eh und je Road-Literatur. So liefert das blecherne Gefährt auch in seinem Erzählungsband "Winter" die Metapher für die Zeitenwende, die den Autor so obsessiv beschäftigt: "Die Welt endet nicht mit einem Knall, sie verrostet."
Der Einwand, dass dieses Buch in Polen schon 2001 erschienen ist, zu einem Zeitpunkt also, zu dem von den vielfliegenden Arbeitern noch keine Rede war, kann nicht verfangen - schließlich handelt auch Stasiuks neuester Roman "Taksim", der in Polen gerade begeistert aufgenommen wird, von Kleinunternehmern und Händlern, die es auf ebenerdigen Verkehrswegen und stets motorisiert durch Südosteuropa bis nach Istanbul gebracht haben. "Winter" und "Taksim" sind thematisch mehr als verwandt, der Erzählungsband kann als Prélude und Einstimmung auf den Roman begriffen werden, der angesichts seines beträchtlichen Umfangs wohl frühestens in zwei Jahren auf Deutsch zu haben sein wird.
In den fünf erzählerischen Miniaturen, die in "Winter" versammelt sind, geht es um die Basare der kleinen Städte - improvisierte Verkaufsgelände, in denen sich ganze Ladungen von Badezimmereinrichtungen bestaunen, ausrangierte Sitzmöbel und Fahrräder ausprobieren und Waren aller Art befühlen lassen. Zu diesen Gegenständen pflegt der Erzähler ein zärtliches Verhältnis. Stasiuk feiert eine Entropie der Dinge: Nichts soll in der Welt, in der er lebt, verlorengehen. Es ist "ein Raum, wo die Zeit Gestalt von materiellen Dingen, Elementen und chemischen Verbindungen annahm". Dass auf den Märkten vor allem Ware aus zweiter Hand gehandelt wird, hält ihr Vor- und Nachleben wach - Abgelegtes und Verachtetes wird in fremden Händen plötzlich wieder wertvoll. Diesen Momenten schreibt Stasiuk eine beinahe magische Dimension zu. Flohmärkte sind die Bühnen der existentiellen Anverwandlung einer Welt, deren Verlust in den geglätteten Konsumoberflächen der Metropolen zu beklagen ist.
Stasiuks Protagonisten Pawel, Grzesiek und Mietek sind Flaneure ohne Stadt. Sie leben in einer Sphäre, in der Mensch und Ware noch nicht durch Schaufensterscheiben getrennt sind. Schon sein Roman "Die Welt hinter Dukla" war eine romantisierende Beschwörung dieser bedrohten Existenzform, auch hier wurde das Landleben gegen die Entfremdung der großen Städte in Stellung gebracht. Wer in Stasiuk daher den Heimat-Poeten sieht oder einen beharrlichen Berichterstatter des abgeschiedenen Osteuropa, greift dennoch zu kurz. Seine Literatur ist nicht Reportage und keine Ethnologie und unterscheidet sich so von Karl Schlögels Beschreibungen osteuropäischer Basar-Kulturen oder Malgorzata Ireks Buch "Der Schmugglerzug".
Stasiuk greift, noch in der vermeintlich realistischen Beschreibung, weiter aus und fügt den Erzählungen eine Poetologie hinzu: Seine Welt der ausrangierten Dinge und Reste - so bekannte er kürzlich - ist eine erfundene Welt. Denn was ist der Schriftsteller schon anderes als ein Resteverwerter? Stasiuks Organe sind Augen, Phantasie und Sprache. So macht er aus dem Müll, der ihn umgibt, Literatur.
STEFANIE PETER
Andrzej Stasiuk: "Winter". Fünf Geschichten. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl und Renate Schmidgall. Mit Illustrationen von Bernhard Heisig. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2009. 63 S., geb., 11,80 [Euro].
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