oder Selbstmordkandidaten.
Ein Hauch morbider Melancholie, ein verzweifelter Optimismus durchzieht ihre auf den ersten Blick ätherisch-luftigen Geschichten. Die flüchtige Erzählerstimme streift und beschreibt die Charaktere eher beiläufig, ohne Mitleid zu heischen. Im Mittelpunkt steht die literarische Verarbeitung von Verlust, Konventionsdruck, Scheidung, Trennung und Tod in einer retrospektiven Auflösung der Ereignisse, wobei ein gepflegter Rest an Unerklärlichem und ein nach mehreren Seiten offenes Ende den Leser zum Nachdenken animiert. Systematisch verzerrt und verkehrt die Autorin die kulturellen Codes. So sind Maske, Identität und Rollentausch Leitmotive vieler Erzählungen. Surreale Elemente durchbrechen und entlarven die gesellschaftliche Logik und Perfidie.
Das literarische Betätigungsfeld von Jo Kyung Ran sind tragikomische Gesellschaftssatiren oder Psychogramme wirklichkeitsflüchtiger Charaktere wie etwa in der Geschichte "Natürlich, wir sind alle Engel". Die Autorin, bei der die Lichtmetaphorik eine zentrale Rolle spielt, ist eine Dramaturgin der Düsterkeit, eine Grenzgängerin zwischen Malerei und Literatur, Traum und Traumata. Auch die Erzählung "Ich bin der Dorfbarbier", in der sich die Geräusche der Großstadt in raffiniert inszenierten Crescendi von aufheulenden Motoren über die Klingeltöne der Handys bis nachgerade zur Unerträglichkeit steigern, wirkt wie eine Literarisierung von Munchs "Der Schrei".
Dabei machen sich Isolation und Vereinsamung oft schon im äußeren Rahmen der Erzählungen bemerkbar - so ist "Das Gedächtnis der Bäume" ein Monolog einer Frau am Krankenbett ihrer nach einem Selbstmordversuch wegen einer unglücklichen Liebe im Koma liegenden Nichte. Das wiedergewonnene Gedächtnis und Beschwörungsrituale sind sinngebende Elemente ihrer rätselhaften Geschichten.
So wird der pure Alltag zum Ort der Poesie: Jo Kyung Ran, deren leise philosophischen Geschichten ihren von der Konvention erdrückten Heldinnen Auswege und Notausgänge weisen, ist eine Chronistin des ganz alltäglichen Wahnsinns.
STEFFEN GNAM
Jo Kyung Ran: "Wie kommt der Elefant in mein Schlafzimmer?" Erzählungen. Aus dem Koreanischen übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Jung Young-Sun und Herbert Jaumann. Pendragon Verlag, Bielefeld 2004. 248 S., geb., 18,50 [Euro].
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