tägliche freiwillige Googler - sammelt und diese intelligent auswertet und nutzt. Google hat wohl wie kaum ein anderes Unternehmen in seinem Geschäftsmodell verinnerlicht, dass über clevere Algorithmen zu entscheidungs- und handlungsrelevanten Informationen ausgewertete Daten aus dem Cyberspace der Rohstoff des 21. Jahrhunderts sind, auf dessen Basis neue Geschäftsmodelle aufgebaut und selbstgefällige traditionelle Branchen in die Bredouille gebracht werden können.
Google hat frühzeitig erkannt, dass im Internetzeitalter, in dem mobil Zugriff auf eine niemals vorher geahnte weltweite Informationsflut besteht, nahezu unbegrenzte Möglichkeiten der Vernetzung existieren, und dass dank Cloud-Lösungen kaum noch Grenzen für die Rechnerkapazität vorliegen. In diesem Umfeld können nur diejenigen Akteure gewinnen, denen es gelingt, kraft ihrer digitalen Kompetenz eine universelle digitale Plattform, das heißt, eine Infrastruktur für vielfältige Interaktionen wie Geschäfte und Meinungsbildung der Plattformnutzer, zu kreieren. Der wirtschaftliche Erfolg stellt sich ein, wenn die Plattform so attraktiv ist, dass sie skalierend wächst.
Wer den Zugang zu den Kunden hat und täglich mehr über diese erfährt, hat gegenüber reinen auf das Produkt fokussierten Unternehmen einen unschätzbaren Vorteil: Er kann auf der Basis dieses Informationsvorsprungs traditionelle Unternehmen aushebeln und sie schlussendlich in die nachgeordnete Rolle von Zulieferern seiner Plattform drängen. Bei Amazon lässt sich dies schon heute besichtigen! Diese Entwicklung ist für die klassischen Produkthersteller, die nach alter Väter Sitte via Einbahnstraße nicht in offenen, sondern in monolithischen, geschlossenen Netzwerken mit ihren Geschäftspartnern kommunizieren, brandgefährlich.
Google ist wegen seiner hohen Akzeptanz und Dominanz heute vielen Beobachtern nicht zuletzt auch den Wettbewerbshütern unheimlich, für diese aber auch schwer fassbar. Den Silicon-Valley-Star umgibt eine Aura des fast schon Mysteriösen. Deshalb ist es gut, dass das vorliegende Buch, das von Insidern verfasst wurde, tiefgehende Einblicke in das Google-Innenleben vermittelt. Die Autoren berichten auch anhand von kleinen Anekdoten authentisch über das Strickmuster der strategischen, auf einen detaillierten Geschäftsplan verzichtenden Überlegungen der Kalifornier und die dominierende Rolle der Gründer. Google schaue bei der Produktentwicklung weniger auf die Anzeigenkunden als auf die Nutzer seiner Plattform, denen im Hinblick auf das erfolgskritische Wachstum immer attraktivere Dienstleistungen offeriert würden.
Google setze dabei statt auf Marktforschung auf die neuesten technischen Erkenntnisse sowie deren innovative und unkonventionelle Nutzung zur bewusst neuartigen Lösung virulenter Problemstellungen. Google probiere immer wieder sogenannte Moonshots, besonders ambitionierte, ja sogar spinnerte Projekte aus. Wer ständig innovative Problemlösungen mit hoher Wertigkeit für die Nutzer hervorbringe, brauche kein aufwendiges Marketing, um Präferenzen zu kreieren. Die Autoren berichten in diesem Zusammenhang recht freimütig über die Tops, aber auch die erlittenen Flops der vergangenen Jahre.
Sie skizzieren das Geschäftsmodell und widmen sich ausgiebig dem entscheidenden Erfolgsfaktor Personalauswahl und Personalführung sowie der auf Kollaboration und Innovation beruhenden Unternehmenskultur. Sie zeigen auf, dass Google stets auf der Suche nach smarten Kreativen ist. Dies sind Menschen, die technisch Spitze und innovativ sind und zugleich Geschäftssinn haben. Sie erläutern, dass den smarten Kreativen bewusst große Handlungsspielräume gegeben würden und dass sie nicht starr eingezwängt würden. Das Mantra laute: Im Internetzeitalter stelle man Leute nicht zum Arbeiten, sondern zum Denken ein.
Die Autoren legen locker geschrieben vieles offen, was Google und seine Erfolge ausmacht. Wer jedoch hofft, in diesem Buch endlich die Algorithmen von Google präsentiert zu bekommen, der wird enttäuscht. Zwar sind der Einsatz offener Plattformen essentielle Voraussetzungen für das erfolgreiche Wachstum von Internetunternehmen. Gleichwohl hält Google sein Allerheiligstes, abgesehen von recht allgemeinen Umschreibungen, fest unter Verschluss.
Nach der Lektüre wird dem Leser klar, dass Google heute eine Macht ist, gegen die auch das wütende Anrennen von Lobbyisten und Anwaltssozietäten der sich bedroht fühlenden traditionellen Branchen à la longue kaum etwas ausrichten dürfte. Diese Attacken vermögen allenfalls die nicht aufzuhaltende und noch keineswegs abgeschlossene Entwicklung hin zum Plattform-Business zu retardieren. Man möchte daher Traditionsbranchen den bekannten militärischen Ratschlag zurufen: "Wenn du sie nicht besiegen kannst, schließe dich ihnen an." In der Tat scheinen sich im Zeitalter der digitalen Revolution neue Allianzen herauszubilden, und bei manchen Traditionsunternehmen rückt die stärkere Nutzung von Plattformen ganz nach oben auf die Strategieagenda. Richtig so und weiter so!
Aus der Lektüre dieses Buches kann der Leser viel darüber lernen, wie im Internetzeitalter eine neue Spezies erfolgreicher, auf Wachstum getrimmter Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen entwickelt werden können. Insbesondere die große Schar der oftmals reichlich unbedarft erscheinenden Google-Kritiker sollte das Buch aufmerksam lesen.
ROBERT FIETEN
Eric Schmidt und Jonathan Rosenberg mit Alan Eagle: Wie Google tickt. Campus Verlag Frankfurt - New York 2015, 294 Seiten, 27 Euro.
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