vor allem mit seinen eigenen politischen Überzeugungen übereinstimmen.
Es gibt eine alte Weisheit, wonach die für Geißler überflüssigen Größen wie Fachwissenschaft oder Lehramt hauptsächlich dazu da sind, den einzelnen vor Ideologien und Selbstrechtfertigungen zu bewahren. Geißlers Buch ist ein Lehrstück dafür, besonders deshalb, weil er ständig seinen Jesus mit der CDU und der katholischen Kirche konfrontiert, zugunsten der Position Geißlers natürlich. Er sagt auch ausdrücklich, Jesus sei der ideale Abgeordnete (im Bundestag) nach Artikel 38 Grundgesetz. So gewinnt man den Eindruck: Wenn Jesus es in den Bundestag schaffen sollte, würde er zusammen mit Geißler den Status einer "Abgeordnetengruppe" ohne Fraktionsstatus, vor allem ohne Fraktionszwang haben können.
Was die Auslegung der Bibel betrifft, so führt Geißlers Methode zu erstaunlichen Feststellungen: Jesus hat keine Zweitehe nach Scheidung verboten (obwohl das entsprechende Jesuswort das am häufigsten bezeugte ist). Jesus habe jüdisches Fasten für lächerlich gehalten - weshalb hat er dann in Matthäus 6 Fasten neben Beten und Almosen gestellt? Geißler weiß auch ganz genau: Jesus hat Judas selbst aufgefordert, ihn den Behörden zu übergeben, weil er die Welt durch seinen Tod erlösen wollte. Das ist originell. Warum hat Jesus sich dann nicht selbst gestellt und Judas sich erhängt? Prostitution sei in den Augen Jesu keine Sünde - deshalb sagt er der Frau in Lukas 7,48 wohl: "Deine Süden sind dir vergeben." Mit Maria Magdalena habe Jesus eine märchenhafte Liebesgeschichte gehabt. Daher sei das "Rühr mich nicht an!" im Sinne eines sexuellen Wunsches der Frau zu verstehen, etwas, das man "unter zölibatären Gesichtspunkten nicht so gern gesehen" habe. Die - aus meiner Sicht berechtigte - Meinung der Forschung, Maria habe Jesus kniefällig verehren und dabei, wie es Sitte war, seine Füße umschlingen wollen, wird ohne Begründung abgewiesen. War Maria Magdalena also "fußgeil"? Erstaunlich: Während Geißler sonst seinen Jesus von Moralin nur so triefen läßt, hätte Jesus heute Sonntagsarbeit bei Computerfirmen und Chipherstellern als unabdingbar erlaubt. Plötzlich triumphiert dann doch der Schröderianismus über Jesu Humanität; daher hätte nach Geißler Jesus auch der Vernichtung von Embryonen zu Zwecken medizinischer Forschung zugestimmt.
Ein geisterhaftes Unwesen treiben bei Geißler die Endredaktoren der Evangelien. Sie sind nämlich für alles verantwortlich, was unser Autor nicht für passend hält, sie sind die großen Verfälscher. So haben die Endredaktoren unter dem Einfluß des Paulus (!) alles in die Evangelien eingetragen, was sich auf Keuschheit bezieht. Sie waren auch verantwortlich für jedes harte Wort gegen Pharisäer oder jüdische Gegner Jesu. Wie schade, daß bei der Gelegenheit auch die Wölfe im Schafspelz als unjesuanisch geopfert werden. Dabei sollte man wissen, daß auch nur die Existenz von Endredaktoren in keinem Falle bewiesen ist, geschweige denn ihre Eingriffe.
Geißlers Umgang gerade mit dieser dubiosen Größe ist ein Musterfall von Zirkelschluß und dankbarer Gegenstand für jedes exegetische Proseminar. Ein anderer zweifelhafter Bereich sind alle angeblichen Fehlübersetzungen, die die Evangelien bieten. Geißler spricht übrigens immer vom Hebräisch-Aramäischen und hält letzteres für einen Dialekt des ersteren. Applaus!
Besonders schätzt Geißler Jesu Verurteilung der Selbstgerechtigkeit. Dabei bietet er hübsche Kataloge. Jeder, der sich gegen "Love Parade, Homosexuelle, Asylbewerber, Araber, Inder, emanzipierte Frauen und die PDS" richtet, ist demnach selbstgerecht. So ist unter dem Thema "Heuchler" auch der Ort, von CDU und SPD zu sprechen. Geißler weiß auch, wer in die Hölle kommt: Finanzminister (pauschal) und deutsche Innenminister. Und immer wieder das Thema Sex: Der Ex-Generalsekretär der CDU findet, der Zölibat könne nicht eingehalten werden, "weil er der Natur widerspricht". Jesu Wort von den Eunuchen des Himmelreiches und des heiligen Paulus Rede von der Ehelosigkeit um Gottes willen sind daher nach Geißler pervers. Interessant ist auch, daß die europäischen Industriestaaten, wie Geißler mitteilt, zum Teil von Opus-Dei-Leuten regiert werden; in Geißlers Jugend machten das noch die Freimaurer, in der norddeutschen Version "die Jesuiten". Noch zwei Dinge: Geißler hat es nicht verwunden, daß die Pizza Connection in Bonner Zeiten (ein überparteiliches Essen à la Toscana) etlicher Umtriebe verdächtigt wurde. Das gehört natürlich in ein Jesus-Buch. Und gegen Heroin hätte Jesus auch nichts gehabt.
Wäre alles nicht so traurig, würde der Name Jesu hier nicht für wissenschaftliche Absurditäten und politische Fragwürdigkeiten mißbraucht, man könnte Geißler für den Savonarola der CDU und sein Buch für eine sozialpolitische Aschermittwochsrede aus Bayern halten. So aber kann man nur sagen: Vergiß es!
Heiner Geißler: "Was würde Jesus heute sagen?" Die politische Botschaft des Evangeliums. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2003. 155 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main