auf Fragen nach Prüfungsrelevanz und Credit-Point-Vergabe. Erst bei der Notengebung erwachte das Temperament.
Das Studium, schloss Florin, sei für heutige Studenten keine prägende Phase, in der sich die Persönlichkeit unter freieren Bedingungen entfaltet und Maßstäbe entwickelt, die für spätere Lebensperioden verbindlich bleiben. Es sei nur ein Durchgangsstadium auf dem Weg in den Beruf. Man ist leistungsbereit, sucht den schnellen Abschluss und das sichere Auskommen. An Vorschriften hält man sich willig, man fordert sie sogar, um frei für die Wahl des Mobilfunktarifs zu sein. Politisches Interesse hat man an dem, was in emotionaler Nähe zum Alltag liegt oder was sich - Stichwort nachhaltiger Konsum - mit Lifestyle-Aspekten verbinden lässt. Schon lange vor Berufseintritt sind diese Studenten perfekte Angestellte, wie sie sich Arbeitgeberverbände nicht besser wünschen können. Florin schrieb diese Beobachtungen in einer eloquenten Polemik ("Warum unsere Studenten so angepasst sind" Rowohlt Verlag, 2014) nieder, und brach eine breite Debatte vom Zaun. Dass es weiter engagierte Studenten gibt, ist kein Widerspruch zu ihrer globalen These.
Eingerahmt von Vertretern aus Studentenschaft, Bildungsministerium und Fakultäten, sitzt sie nun vor dichtgefüllten Reihen im großen Hörsaal ihrer eigenen Universität. Ministerialdirigent Peter Greisler sucht zu Beginn den Widerspruch, muss aber einräumen, dass der Schwund studentischer Leidenschaft von Umfragen belegt wird, die das Bundesbildungsministerium selbst in Auftrag gegeben hat. Blass bleiben die beiden Studentenvertreter. Es fehlt an Gegenbeispielen zu Florins These.
Die Rede kommt schnell auf den "Bulimie-Studenten", der sein Wissen anpaukt, ausspuckt und wieder vergisst. Dass man sich nicht merken muss, was bei Google steht, ist unter vielen Studenten ein Dogma. Nur im eigenen Kopf wird Wissen aber zu Urteil und Besitz. Besonders gereizt, sagt Florin, reagierten viele Studenten auf historisches Wissen, dem sein greifbarer Nutzen nicht anzusehen ist. Wenige nur treibe noch das Glücksgefühl der Erkenntnis.
Den Generationenvorwurf findet man trotzdem ungerecht. Es sind ja die Vorgaben der Vorgeneration, die den Spielraum heutiger Studenten so eng begrenzen. Wachsendes politisches Desinteresse ist zudem kein auf Universitäten begrenztes Phänomen, und die Gleichgültigkeit für das Allgemeine lässt sich auch als Folge medialer Personalisierungstechniken verstehen, die das Fundament des Politischen untergraben: das Interesse an dem, was einen nicht direkt etwas angeht. Ist der leidenschaftslose Taktiker also das logische Produkt der outputorientierten Bologna-Universität? Dass Studenten dem ökonomischen Druck zu wenig Widerstand leisten, finden viele richtig, der Vorwurf treffe aber auch ihre Dozenten. Irritierend bleibt die Zufriedenheit, die Studenten in Umfragen über das Bologna-Studium äußern.
Der Bonner Universitätsdirektor Jürgen Fohrmann kritisiert die Beschleunigungsdoktrin der Bildungspolitik, immer mehr Studenten in immer kürzerer Zeit durch die Universitäten zu schleusen. Was nützt ein Heer junger Akademiker ohne Begabung für ein wissenschaftliches Studium? Reichen würde eine größere Wertschätzung nichtakademischer Berufe. Kritisiert wird auch das permanente Bewerten, das man für die Notenfixierung der Studenten verantwortlich macht. Schlechte Zensuren würden in geisteswissenschaftlichen Fächern, wenn überhaupt, nur noch mit schlechtem Gewissen verteilt, gute Noten wertlos. Schon eine Drei werde heute als schwere Hypothek auf die berufliche Zukunft empfunden. Die Noteninflation beginnt in der Schule und ist, wie im Fall des nordrhein-westfälischen Zentralabiturs, oft politisch gewollt. Sie gilt aber nicht für alle Fächer. In der Biologie, sagt ein Fachvertreter in Bonn, hat sich der Trend sogar umgekehrt.
Was also tun? Den Lehrstil ändern, mehr Widersprüche provozieren? Punkte fürs Debattieren verteilen? Der Vorwurf der Leidenschaftslosigkeit lässt die Studenten zumindest nicht kalt. Es muss noch andere, in Bonn abwesende Kräfte aus Politik, Wissenschaftsmanagement, Wirtschaftsverbänden und Eltern geben, die an unkritischen Studenten ein Interesse haben.
THOMAS THIEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main