beitragen.
Am Beispiel der Historiographie des Ersten Weltkriegs wird gezeigt, daß kaum ein anderer Krieg im Zeichen der Metapher des Pulverfasses so herbeigeredet und noch vor seinem Beginn als eigentlich schon lange stattfindend gedacht wurde. So genau sich die Ursachen des Krieges rekonstruieren lassen, das Jahr 1914 "markiert immer auch einen Überschuß an historischer Bedeutung, an geschichtlicher Notwendigkeit, der in Kausalerklärungen nicht aufgeht" (Christian Geulen). Gegen eine von Hobbes bis Schmitt reichende Tradition der Feindtheoretiker wird im Sinne Arendts erklärt, daß die systematische Verkettung von Feindschaft und Krieg letztlich immer auf ihre Enthistorisierung hinausläuft, auf die Ersetzung von Geschichte durch einen vorausgesetzten natürlichen Prozeß.
Abgesehen von gelegentlichen argumentativen Unschärfen, die die kritisierten Protagonisten in zentralen Aussagen bisweilen grob verkürzen, wird die Grundthese des Bandes doch eindrucksvoll belegt: daß ein mit dem Krieg identifizierter Begriff der Feindschaft im Kern ein unpolitischer ist. Was Hobbes betrifft, räumen die Herausgeber selbst ein, daß man ihn zu Unrecht gern als Kronzeugen eines ewigen, unaufhebbaren und anthropologisch vorgegebenen Kriegszustandes zitiert. Hobbes hat genau unterschieden: Der latente Kriegszustand, in dem einer dem anderen "das Größte" antun kann (nämlich ihn physisch oder symbolisch zu töten), wird sich nicht abschaffen lassen, wohl aber die manifeste kriegerische Gewalt - wenn nur alle auf sie "zu verzichten versprechen".
"Wer hat als erster gedacht, daß die Politik der mit anderen Mitteln fortgesetzte Krieg ist?" fragt Foucault in der "Verteidigung der Gesellschaft". Für Hans Ulrich Wehler war Ludendorff zwar nicht der erste, wohl aber der radikalste Vertreter einer Kriegstheorie, die in der Politik nur ein Mittel zum Krieg sah und in diesem Sinne die Clausewitzsche auf den Kopf stellte. Schon zu Beginn der zwanziger Jahre hatte Ludendorff gemeint, daß "die Gesamtpolitik dem Kriege zu dienen" habe, da "Politik" im Grunde nichts anderes sei als "eben Krieg". Aus dem von Clausewitz bis Jünger immer noch theoretischen Diskurs zum Verhältnis von Krieg und Politik wurde bei Ludendorff eine praktische Kriegspolitik, in der die Unterscheidung zwischen Politik und Krieg ebenso verschwand wie die zwischen Theorie und Praxis.
Daß der Feind natürlich nicht "an sich" der absolute Feind ist, sich vielmehr erst aufgrund von Unterscheidungen und Entscheidungen zu dem entwickelt, der er am Ende als unbedingt zu Vernichtender sein wird, veranschaulicht der Band mit psychologischen, soziologischen und politologischen Analysen. Dabei spielen, wie es im Vorwort heißt, "neben Projektionen, Surrogatbildungen und paranoiden Momenten vor allem Antizipationen der extremen Bedrohung, die der Feind bedeuten kann, eine nicht zu übersehende Rolle. Die Wahrnehmung des ,realen' Anderen und die ,imaginäre' Aufladung des von diesen Antizipationen bestimmten Bildes, das man sich vom Anderen macht, sind oft kaum mehr auseinanderzuhalten."
Daß die Entwirklichung geradezu die Bedingung der Möglichkeit von Feindschaft sein kann, pointiert Christian Geulen mit Wolfgang Petersens Science-fiction-Film "Enemy Mine", in welchem der Plot von Robinson und Freitag auf der einsamen Insel in Form einer Geschichte der scheinbaren Verwandlung von Feindschaft in Freundschaft auf dem Weg einer doppelten Adoption variiert wird. Obwohl der Film eine Geschichte erzählen muß, versucht er, von dieser zu abstrahieren. Ebensowenig wie man im Film je Näheres über die Ursache des Kriegs zwischen Menschen und außerirdischen Dracs erfährt, gibt es Raum für die behauptete Freundschaft zwischen irdischer und außerirdischer Hauptfigur. In mechanischer Konsequenz führt die bloße Feindschaft vielmehr zur - Verwandtschaft. Die künstliche, jeder politisch-historischen Dimension entratenden Begriffsverdichtung "Enemy Mine" ließe sich denn auch so übersetzen: Schlag ich dir nicht den Schädel ein, mußt du schon mein Bruder sein.
CHRISTIAN GEYER
"Vom Sinn der Feindschaft", herausgegeben von Christian Geulen, Anne von der Heiden, Burkhard Liebsch. Akademie Verlag, Berlin 2002. 253 S., geb., 49,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main