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Vertreibungen europäisch erinnern?
Historische Erfahrungen - Vergangenheitspolitik - Zukunftskonzeptionen. Mit Beitr. in engl. Sprache
Herausgegeben von Bingen, Dieter; Borodziej, Wlodzimierz; Troebst, Stefan
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Vertreibungen europäisch erinnern?
Wlodzimierz Borodziej, 1956 in Wien geboren, ist Professor für Neuere Geschichte am Historischen Institut und Vizepräsident der Universität Warschau. Er studierte in Warschau Geschichte und Germanistik. Diverse Stipendien und Gastprofessuren führten ihn nach Tübingen, Wien und Marburg. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, u.a. zur Vertreibung der Deutschen aus Polen und zur polnischen Widerstandsbewegung.
Stefan Troebst, Historiker und Slavist, ist Professor für Kulturstudien Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig und stellvertretender Direktor des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO). Sein Arbeitsgebiet ist die moderne Geschichte Europas mit Schwerpunkten auf Südost-, Ostmittel- und Nordosteuropa.
Stefan Troebst, Historiker und Slavist, ist Professor für Kulturstudien Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig und stellvertretender Direktor des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO). Sein Arbeitsgebiet ist die moderne Geschichte Europas mit Schwerpunkten auf Südost-, Ostmittel- und Nordosteuropa.
Produktdetails
- Veröffentlichungen des Deutschen Polen-Instituts, Darmstadt 18
- Verlag: Harrassowitz
- Seitenzahl: 328
- Deutsch, Englisch
- Abmessung: 240mm
- Gewicht: 630g
- ISBN-13: 9783447048392
- ISBN-10: 3447048395
- Artikelnr.: 12338957
Herstellerkennzeichnung
Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Verweigerte Trauer
Zur Diskussion um das Projekt eines Zentrums gegen Vertreibungen
Dieter Bingen/Wlodzimierz Borodziej/Stefan Troebst (Herausgeber): Vertreibungen europäisch erinnern. Historische Erfahrung, Vergangenheitspolitik Zukunftskonzeptionen. Harrasowitz Verlag, Wiesbaden 2003. 328 Seiten, [Euro] 24,80
In einer historisch zunehmend desinteressierten Gesellschaft müßten sich Historiker eigentlich freuen, wenn Geschichte Konjunktur hat. Als vor zwei Jahren das Schicksal der Vertreibung in den Blick der Öffentlichkeit geriet, hielt sich ihre Freude in Grenzen. Denn nicht sie, die professionellen Vertreter der Zunft, hatten die Aufmerksamkeit auf ein lang ignoriertes Thema gelenkt, sondern
Zur Diskussion um das Projekt eines Zentrums gegen Vertreibungen
Dieter Bingen/Wlodzimierz Borodziej/Stefan Troebst (Herausgeber): Vertreibungen europäisch erinnern. Historische Erfahrung, Vergangenheitspolitik Zukunftskonzeptionen. Harrasowitz Verlag, Wiesbaden 2003. 328 Seiten, [Euro] 24,80
In einer historisch zunehmend desinteressierten Gesellschaft müßten sich Historiker eigentlich freuen, wenn Geschichte Konjunktur hat. Als vor zwei Jahren das Schicksal der Vertreibung in den Blick der Öffentlichkeit geriet, hielt sich ihre Freude in Grenzen. Denn nicht sie, die professionellen Vertreter der Zunft, hatten die Aufmerksamkeit auf ein lang ignoriertes Thema gelenkt, sondern
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Schriftsteller, Journalisten und der Bund der Vertriebenen mit dem Projekt eines Zentrums gegen Vertreibungen. Gegenstand des neu erwachten Interesses waren eben nicht abgewogene Forschungsergebnisse, sondern authentische Erinnerungen, tabuisierte Schicksale, verdrängtes Leid. "Ein Rückschritt gegenüber dem Forschungsstand" sei das, beklagte Philipp Ther, Juniorprofessor in Frankfurt (Oder), in dem hier angezeigten Band, denn diese Art der Erinnerungskultur fördere von neuem eine national verengte und opferzentrierte Sichtweise, die im wissenschaftlichen Dialog gerade erst überwunden worden sei.
Mit einiger Verspätung fanden sich im Dezember 2002 mehr als vierzig Wissenschaftler aus Europa, Israel und den Vereinigten Staaten in Darmstadt ein, um das Terrain für einen europäischen Gegenentwurf zum angeblich nationalen Zentrumsprojekt des BdV zu sondieren. Ihre Vorträge und Diskussionen liegen nun gedruckt vor. Der Band ist zunächst ein Dokument der Selbstreflexion. Im einführenden Vortrag geht Karl Schlögel mit der eigenen Zunft ins Gericht: Aus "ideologisch verbrämter Ignoranz, aus Opportunismus und mangelnder Zivilcourage" habe sie die Vertreibungsgeschichte jahrzehntelang liegenlassen. Nun aber gelte es, nicht einfach anzuknüpfen an die Geschichtsschreibung der Nachkriegszeit, sondern einen neuen und europäisch erweiterten Blick zu werfen auf ein Geschehen, das "zu den bedeutendsten und am meisten unterschätzten Revolutionen des zwanzigsten Jahrhunderts" gehöre.
"Es stehen große Entdeckungen bevor", verheißt Schlögel, besonders für gegenwärtige und künftige Generationen, die keinen Begriff mehr davon hätten, was Städte wie Wilna, Odessa, Riga, Lemberg, Smyrna und Triest einmal für die europäische Kultur bedeutet hätten. Denn die Wiederaneignung einer verdrängten oder vergessenen Geschichte könne sich nicht auf das Reiz-Reaktionsschema von nationalsozialistischer Gewalt und rachedurstiger Gegengewalt an den Verlierern des Kriegs beschränken; sie müsse das Ganze in den Blick nehmen: das ganze vom nationalistischen Bazillus infizierte Europa; die ganze Breite demographischer, kultureller, soziologischer und ideologischer Aspekte der Vertreibungsgeschichte.
Der Amerikaner Micgiel kommt bei der Aufzählung der europäischen Völker, die von Vertreibungen, ethnischen Säuberungen und Extermination betroffen waren, auf 25. Längst nicht alle konnten in Darmstadt gesondert gewürdigt werden. Doch selbst die unvollständige Bestandsaufnahme vermittelt den Eindruck, daß sich besonders in Ost- und Südosteuropa einiges auf diesem Feld tut. Einige der Teilnehmer aus EU-Beitrittsländern waren mit der Erwartung nach Darmstadt gekommen, hier so etwas wie die Gründung eines Forschungsverbunds zu erleben und künftig ihre Arbeit an einem Zentrum gegen Vertreibungen in Deutschland fortsetzen zu können. Davon ist man noch weit entfernt.
Von der Revue der mannigfaltigen Nationalitätenkonflikte und dem Stand ihrer historischen Aufarbeitung ging die Tagung über zu der Frage, wie man ihre Fülle in einem Zentrum gegen Vertreibungen gerecht werden könne, welche Funktionen eine solche Einrichtung zu erfüllen, wem sie vor allem zu dienen hätte. Sofort türmten sich methodische und didaktische Probleme auf - ganz abgesehen von den politischen Schwierigkeiten, die eine Einigung auf ein solches gemeinsames Geschichtsprojekt bereiten würde. Schon die Begriffe Flucht, Vertreibung, Zwangsumsiedlung, Bevölkerungsaustausch, ethnische Säuberung und Genozid zeigen an, daß man es mit einem Phänomen in vielerlei Gestalt zu tun hat. Nimmt man jeweils den historischen Kontext hinzu, der im Falle der stalinistischen Umsiedlungsaktionen lediglich eine akut eingebildete Bedrohungslage, im Kosovo aber eine "Erbfeindschaft" reflektiert, die vor sechshundert Jahren begründet wurde, so reduziert sich das Gemeinsame auf rein äußerliche Umstände. Und selbstverständlich könnte ein Zentrum gegen Vertreibungen auch am Schicksal der europäischen Juden nicht vorbeigehen.
Arnulf Baring, der im Stiftungsbeirat des BdV-Projekts sitzt, warnt vor einer Überdehnung des Themas ins Uferlose. Seiner Auffassung nach wird ein Zentrum vor allem aus therapeutischen Gründen gebraucht. Die Deutschen müßten in ihrem eigenen und im Interesse ihrer Nachbarn endlich mit sich ins reine kommen. Das könnten sie nur, wenn sie sich auch die lang verweigerte Trauer um eigene Opfer gestatteten. Sein Rat, zunächst mit einem deutsch-polnischen Zentrum zu beginnen, fand im Kreis der Tagungsteilnehmer wenig Anklang. Doch ein Jahr später - und "bereichert" um die Erfahrung der völlig außer Kontrolle geratenen deutsch-polnischen Vertreibungsdiskussion des Sommers 2003 - standen die Unterschriften von zweien der drei Herausgeber des Bandes unter einer Erklärung der deutsch-polnischen Kopernikus-Gruppe, in der Barings Ansatz aufgegriffen wird. Schon kurz nach seinem Erscheinen belegt der Dokumentationsband somit, daß auch die Wissenschaftler bei diesem Thema noch ständig dazulernen.
STEFAN DIETRICH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit einiger Verspätung fanden sich im Dezember 2002 mehr als vierzig Wissenschaftler aus Europa, Israel und den Vereinigten Staaten in Darmstadt ein, um das Terrain für einen europäischen Gegenentwurf zum angeblich nationalen Zentrumsprojekt des BdV zu sondieren. Ihre Vorträge und Diskussionen liegen nun gedruckt vor. Der Band ist zunächst ein Dokument der Selbstreflexion. Im einführenden Vortrag geht Karl Schlögel mit der eigenen Zunft ins Gericht: Aus "ideologisch verbrämter Ignoranz, aus Opportunismus und mangelnder Zivilcourage" habe sie die Vertreibungsgeschichte jahrzehntelang liegenlassen. Nun aber gelte es, nicht einfach anzuknüpfen an die Geschichtsschreibung der Nachkriegszeit, sondern einen neuen und europäisch erweiterten Blick zu werfen auf ein Geschehen, das "zu den bedeutendsten und am meisten unterschätzten Revolutionen des zwanzigsten Jahrhunderts" gehöre.
"Es stehen große Entdeckungen bevor", verheißt Schlögel, besonders für gegenwärtige und künftige Generationen, die keinen Begriff mehr davon hätten, was Städte wie Wilna, Odessa, Riga, Lemberg, Smyrna und Triest einmal für die europäische Kultur bedeutet hätten. Denn die Wiederaneignung einer verdrängten oder vergessenen Geschichte könne sich nicht auf das Reiz-Reaktionsschema von nationalsozialistischer Gewalt und rachedurstiger Gegengewalt an den Verlierern des Kriegs beschränken; sie müsse das Ganze in den Blick nehmen: das ganze vom nationalistischen Bazillus infizierte Europa; die ganze Breite demographischer, kultureller, soziologischer und ideologischer Aspekte der Vertreibungsgeschichte.
Der Amerikaner Micgiel kommt bei der Aufzählung der europäischen Völker, die von Vertreibungen, ethnischen Säuberungen und Extermination betroffen waren, auf 25. Längst nicht alle konnten in Darmstadt gesondert gewürdigt werden. Doch selbst die unvollständige Bestandsaufnahme vermittelt den Eindruck, daß sich besonders in Ost- und Südosteuropa einiges auf diesem Feld tut. Einige der Teilnehmer aus EU-Beitrittsländern waren mit der Erwartung nach Darmstadt gekommen, hier so etwas wie die Gründung eines Forschungsverbunds zu erleben und künftig ihre Arbeit an einem Zentrum gegen Vertreibungen in Deutschland fortsetzen zu können. Davon ist man noch weit entfernt.
Von der Revue der mannigfaltigen Nationalitätenkonflikte und dem Stand ihrer historischen Aufarbeitung ging die Tagung über zu der Frage, wie man ihre Fülle in einem Zentrum gegen Vertreibungen gerecht werden könne, welche Funktionen eine solche Einrichtung zu erfüllen, wem sie vor allem zu dienen hätte. Sofort türmten sich methodische und didaktische Probleme auf - ganz abgesehen von den politischen Schwierigkeiten, die eine Einigung auf ein solches gemeinsames Geschichtsprojekt bereiten würde. Schon die Begriffe Flucht, Vertreibung, Zwangsumsiedlung, Bevölkerungsaustausch, ethnische Säuberung und Genozid zeigen an, daß man es mit einem Phänomen in vielerlei Gestalt zu tun hat. Nimmt man jeweils den historischen Kontext hinzu, der im Falle der stalinistischen Umsiedlungsaktionen lediglich eine akut eingebildete Bedrohungslage, im Kosovo aber eine "Erbfeindschaft" reflektiert, die vor sechshundert Jahren begründet wurde, so reduziert sich das Gemeinsame auf rein äußerliche Umstände. Und selbstverständlich könnte ein Zentrum gegen Vertreibungen auch am Schicksal der europäischen Juden nicht vorbeigehen.
Arnulf Baring, der im Stiftungsbeirat des BdV-Projekts sitzt, warnt vor einer Überdehnung des Themas ins Uferlose. Seiner Auffassung nach wird ein Zentrum vor allem aus therapeutischen Gründen gebraucht. Die Deutschen müßten in ihrem eigenen und im Interesse ihrer Nachbarn endlich mit sich ins reine kommen. Das könnten sie nur, wenn sie sich auch die lang verweigerte Trauer um eigene Opfer gestatteten. Sein Rat, zunächst mit einem deutsch-polnischen Zentrum zu beginnen, fand im Kreis der Tagungsteilnehmer wenig Anklang. Doch ein Jahr später - und "bereichert" um die Erfahrung der völlig außer Kontrolle geratenen deutsch-polnischen Vertreibungsdiskussion des Sommers 2003 - standen die Unterschriften von zweien der drei Herausgeber des Bandes unter einer Erklärung der deutsch-polnischen Kopernikus-Gruppe, in der Barings Ansatz aufgegriffen wird. Schon kurz nach seinem Erscheinen belegt der Dokumentationsband somit, daß auch die Wissenschaftler bei diesem Thema noch ständig dazulernen.
STEFAN DIETRICH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als Dokument der Selbstreflexion betrachtet Rezensent Stefan Dietrich diesen Band, in dem seinen Informationen zufolge die Vorträge und Diskussionen einer internationalen Darmstädter Konferenz im Dezember 2002 zusammengefasst sind, die einen europäischen Gegenentwurf zum "angeblich nationalen Zentrumsprojektes" des Bundes der Vertriebenen sondieren sollte. Nachdem er die Thesen einiger Beiträge dargestellt hat, kommt der Rezensent jedoch zu dem diskret formulierten Ergebnis, dass dieser Band, was den Reflexionsstand seiner Erkenntnisse betrifft, bereits vom Lauf der Diskussion überholt worden ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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