kurzem undenkbar gewesen wäre: die Wiederaufnahme des deutschen Soldaten in die Ikonographie des Heldischen.
"Wir alle neigen dazu, es uns in Illusionen wohl sein zu lassen, aber ich möchte darauf bestehen, dass es uns nicht guttut", beginnt Jan Philipp Reemtsmas Studie "Vertrauen und Gewalt". Die Illusion, um die es ihm dabei geht und die, wie mir scheint, einiges mit jenem Foto zu tun hat, ist jene, zur Entwicklung der westlichen Gesellschaften gehöre eine fortschreitende Ächtung von Gewalt. Ein flüchtiger Blick auf die Katastrophen von Verdun, Auschwitz und Hiroshima straft diese Selbsteinschätzung Lügen. Die Insistenz aber des durch nichts aufzuklärenden, kopfschüttelnden Unverständnisses angesichts der Massenvernichtungen, "wie ganz normale Familienväter so etwas tun" können, weist auf eine besondere Bedeutung dieser Selbsttäuschung hin.
Im Rückgriff auf Thomas Hobbes, und auf wen sollte eine Gesellschaftstheorie sonst zurückgreifen, die von Auschwitz ausgeht - "Hierdurch ist offenbar, dass sich die Menschen, solange sie ohne eine öffentliche Macht sind, die sie alle in Schrecken hält, in jenem Zustand befinden, den man Krieg nennt, und zwar im Krieg eines jeden gegen jeden" -, entwirft Reemtsma die Geschichte der Vergesellschaftung als einen Prozess ständiger Neujustierung des Verhältnisses von Vertrauen und Macht. Die immer rigidere Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols, die Verrechtlichung aller Lebensverhältnisse und die Fragmentierung der Macht, ein zunehmender Ekel vor körperlicher Grausamkeit und das damit einhergehende Verschwinden von öffentlicher Gewalt - Duellverbot, Verbot der Folter, Verbot der Todesstrafe - sind die Schritte eines Prozesses, bei dem der Einzelne sich seiner körperlichen Unversehrtheit immer sicherer sein konnte und bei dem das entsteht, was der Gründer des Hamburger Instituts für Sozialforschung "die atlantische Moderne" nennt.
Macht und Recht
Wobei allerdings, so gefestigt dieser Prozess auch erscheinen mag, weder die sich etablierende Macht noch das Recht, das an sie gebunden ist - "auctoritas, non veritas facit legem", heißt es bei Hobbes -, etwas ist, was man besäße. Macht wird nicht dem Mächtigen gewährt, sondern der, dem man sie überträgt, hat antizipieren können, dass der sie erlangen wird. Im Feld der Gewalt heißt solche Antizipation Drohung. Insofern verhalten Macht und Gewalt sich in der Gesellschaft wie kommunizierende Röhren, oder, mit Hannah Arendt, "wo die eine absolut herrscht, ist die andere nicht vorhanden. Gewalt tritt auf den Plan, wo Macht in Gefahr ist." Es bleibt also immer möglich, kodifiziertes Recht wieder personifizierter Herrschaft zu übereignen. Carl Schmitts Satz vom Führer, der das Recht setze, formulierte dies für den Faschismus.
Von solchem Ausnahmezustand einmal abgesehen, lassen sich, so Reemtsma, in allen Gesellschaften drei Zonen der Gewalt unterscheiden: verbotene, gebotene und erlaubte Gewalt. Im Boxring ist Gewalt erlaubt und geboten, will der Kämpfer nicht disqualifiziert werden, im Wirtshaus war sie vor noch gar nicht so langer Zeit nicht gänzlich verboten. Die Besonderheit unserer Zivilisation, die sie, wie Reemtsma betont, von allen anderen Kulturen unterscheidet, bestehe nun in dem Ideal, die Zone der verbotenen Gewalt immer weiter auszudehnen: "Von diesem Fortschritt lebt und zehrt unsere gesamte Kultur." Ein Fortschritt, der mit zunehmender Sensibilisierung gegenüber der Gewalt erkauft ist. "Unser Ideal von Zivilisation bringt eine dünnere Haut mit sich, anders gesagt: Es gehört zu den Zivilisationsleistungen, die Traumadisposition des Menschen zu erhöhen."
Diese Schutzlosigkeit ist die Bedingung jener drei Formen von Gewalt, die Reemtsma im Weiteren unterscheidet: lozierende, einen Körper, etwa im Krieg, verdrängende Gewalt, raptive Gewalt, die einen Körper besitzen will, "meist, um ihn sexuell zu benutzen", und schließlich autotelische Gewalt. Sie sinnlos zu nennen, wie es der Alltagsgebrauch tut, verkennt sie. Um diese Verkennung ist es Reemtsma zu tun.
Es fiele schwer, in diesem Interesse nicht den persönlichen Erfahrungshorizont zu erkennen, gelegentlich weist Reemtsma en passant auch auf ihn hin. Es gehört jedoch gleichermaßen zur Professionalität des Wissenschaftlers wie zur Befähigung des Autors, wie es ihm gelingt, diesen Hintergrund in Stil umzumünzen. Deutlich spürt man seiner hochbeweglichen Sprache die Arno Schmidtsche Lust am Gestischen an, den Gedankenfluss einen Moment lang zu einem schnoddrigen Aperçu gerinnen zu lassen - "All dies führt zu allerlei" -, um ihn dann wieder in langen Satzperioden strudelnd zu beschleunigen, dabei in völliger Dünkellosigkeit gegenüber seinen Quellen Schillers Wilhelm Tell neben Django - der mit dem Maschinengewehr im Sarg - geraten zu lassen, um dann im Rückgriff auf Kierkegaards Abraham-Figur den Phänotyp des Desperados zu beschreiben.
Dass sich hinter derlei eine bestimmte Utopie vom Denken in Sprache verbirgt, zeigt sich an der hellsten Stelle dieses notwendigerweise düsteren Buches: In einem kleinen Porträt Montaignes, den Reemtsma ausdrücklich gegen Descartes in Schutz nimmt. Wie er dies tut, sagt viel über ihn selbst. Descartes, heißt es, synthetisiere die Welt, "bis hin zu der Wegdefinierung jenes Ärgernisses, dass man, laut Montaigne, nicht wirklich wissen könne, ob ich mit meiner Katze spiele oder die mit mir: Die Tiere, so Descartes, seien Maschinen und spielten nicht. Er hatte keine Katze."
Tell und Django
Es ist diese Zone der Indifferenz, die Jan Philipp Reemtsma interessiert. Er gewinnt dort, etwa im Verhältnis von Täter und Opfer, von Vertrauen und Machtgabe, seine Beschreibung einer Dialektik der Anerkennung, die ebenso in der grauenhaften Intimität des Folterkellers - "Wir sind alles für Dich (. . .) Wir sind Gott!" - wie in den Großformationen staatlicher Gewalt wirksam ist. Immer gibt es die Partnerschaftlichkeit des Opfers, das in dem Moment, in dem es sein Opfer-Sein anerkennt, dieses Opfer erst ermöglicht.
Es gehört zu den luzidesten und grauenvollsten Stellen dieses luziden Buches, genau hier, wo die Muster von Unterwerfung und Vertrauen sich ebenso für die Liebe wie für die Folter reklamieren lassen, den gesellschaftlichen Ort der Herrschaft autotelischer Gewalt zu lokalisieren: "Vertrauen braucht Praxen, die es stabil halten; werden diese entschlossen destabilisiert, tritt - denn man kann nicht nicht vertrauen - an deren Stelle das Vertrauen in die destabilisierenden Praxen: Eine neue Stabilität etabliert sich, hier ist es das Vertrauen in die Gewalt." So ruhig lässt sich die Entstehung der Hölle beschreiben. "Man kann das tun: aus der modernen Zivilisation aussteigen."
Am Beispiel der "eschatologischen Säuberungen" des Stalinismus zeigt Reemtsma, wie das geht, "die moderne Gewaltaversion zu überwinden und Vertrauen in Gewalt als Lebensform zu gewinnen". Bleibt die Frage, warum diese Versuche stets als Betriebsunfall bewertet wurden, warum der Glaube an die Moderne nicht längst zerbrochen ist? Reemtsmas Antwort lautet, "dass das, was autotelische Gewalt kommuniziert, nicht verstanden wird, dass man Gewalt überhaupt nicht als Kommunikationsform zu lesen gewohnt ist".
Stets wird sie im Sinn einer wie auch immer gearteten Zweck-Mittel-Relation gedeutet oder als pathologisch stillgestellt. Um aber die Lust an der Vernichtung als soziales Handeln verstehen zu können, sollte man sich von dem Gedanken lösen, Gewalt finde nur zwischen Opfer und Täter statt, und sie stattdessen triadisch begreifen, als Kommunikation des Täters auf einen Dritten hin. Dies, so Reemtsma, geschehe am offensichtlichsten im Krieg, wo jeder Schuss nicht nur den Getroffenen meine, sondern als Drohung auch den, den der nächste Schuss treffen könnte. Der Soldat ist der eigentliche Experte der Gewaltkommunikation im Herzen der westlichen Zivilisation. Vermittler zwischen der Welt des Gesetzes und jener anderen, als deren Attribut wir nur Sinnlosigkeit nennen können.
Opfer und Täter
Eine Figur, die sich etwa auch im Werk Ernst Jüngers findet, das sich lesen ließe als Versuch, das Soldatische in diesem Sinn als Vermittlung abzubilden und damit von etwas zu sprechen, von dem, nach der Exklusion seines Standes, nicht gesprochen werden sollte. In den Glaskästen seiner Käfersammlung sich spiegelnd, mag Jünger sich selbst so als Aufgabe erschienen sein, Exemplar einer aussterbenden Gattung von Experten der Gewalt. Was zurückführt zu dem erwähnten Foto von Tom Cruise, bei dem es sich also wohl um ein Phantombild gehandelt haben muss. Wanted!
Ein seltsamer Faden spinnt sich so, noch vom letzten Jahr her, quer durchs Bewusstsein, einerseits an Tom Cruise' Wehrmachtsuniform festgemacht, andererseits an den Stiefeln des SS-Schergen Max Aue, den Jonathan Littell auf 1400 Seiten beschreibt. Doch man täusche sich nicht! In einer Zeit, in der das westliche Selbstverständnis von Angstszenarien bestimmt ist, wie sie etwa Wolfgang Sofsky skizzierte, und von Überlegungen wie denen des in der Politik hochangesehenen Staatsrechtlers Otto Depenheuer über die Kategorie des Feindes, der - ganz wie bei Carl Schmitt - außerhalb der Verfassung stehe und damit keine rechtsstaatlichen Garantien für sich beanspruchen dürfe, und in der über die Wiedereinführung der Folter überhaupt diskutiert wird, handelt es sich bei der Faszination für derlei um mehr als nur um schwarz-deutsche Glasperlenspiele.
"Wir können uns nur auf das Wie einer Lebensweise berufen", zitiert Reemtsma am Ende zustimmend Ernst Tugendhat, der so die Problematik jeder Verteidigung gegen den Terror fasst, die darin liegt, dass das verteidigende Gut nichts ist, das sich in Sicherheit bringen ließe. Es ist das Vertrauen selbst, was unsere Gesellschaft ausmacht, weshalb ihre strukturelle Offenheit nichts ist, was aufgegeben werden könnte, ohne dass wir uns selbst aufgäben.
Jan Philipp Reemtsma: "Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne". Hamburger Edition, Hamburg 2008, 576 Seiten, 30 Euro
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