daß seit geraumer Zeit konkrete Bestrebungen im Gange sind, ein einheitliches gesamteuropäisches Zivilrecht zu schaffen. Sehr konkret sind diese Überlegungen deshalb, weil sie nicht das Werk von Romantikern und Phantasten sind, die die Bodenhaftung verloren haben, sondern weil praktische Bedürfnisse dafür sprechen. An vielen Stellen Europas haben sich Arbeitsgruppen gebildet, die Prinzipien des europäischen Vertrags- oder Deliktsrechts entwerfen, in gewichtigen Werken leisten Juristen Vorarbeiten dafür, die in bedeutenden Verlagen erscheinen; ja sogar die Europäische Kommission hat entsprechende Aufträge erteilt.
Die Frage ist, welche Formen diese Rechtsvereinheitlichung annehmen, insbesondere, ob heute ein gesamteuropäisches Gesetzbuch angestrebt werden solle. Wenn sich Kötz, auch in seiner Eigenschaft als Direktor des Hamburger MPI und auf Grund seiner intimen Kenntnis der europäischen Partikularrechte, leidenschaftlich für diese Vereinheitlichung einsetzt, so bezieht er doch genauso dezidiert dagegen Stellung, auf allzu direktem Wege und übereilt auf ein solches Gesetzbuch zuzusteuern. Es gibt so viele ungeklärte Fragen, daß dieses Unterfangen scheitern müßte. Statt dessen ist es nach wie vor Aufgabe der Rechtswissenschaft in enger Verbindung mit der Rechtspraxis, die Probleme zu durchdenken und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß eine zukünftige Gesetzgebung zu einem praktikablen Fortschritt im gesamteuropäischen Rechtsleben führt.
Insofern stehen wir heute in einer eigenartigen Parallele zu der Situation im Deutschland des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts und der Folgezeit, eine Parallele, deren sich Kötz bewußt ist. "Savigny rides again", gibt er ein Bonmot eines heutigen englischen Juristen wieder, der damit diese Situation charakterisiert. Insbesondere nach den Befreiungskriegen gab es begeisterte Versuche, die Zersplitterung des deutschen Rechtslebens durch die Schaffung eines einheitlichen deutschen Gesetzbuches zu beheben.
Dagegen wandte sich Friedrich Carl von Savigny, der einflußreichste deutsche Jurist der ersten Hälfte des Jahrhunderts, zum einen mit der Begründung, das geschichtlich, "organisch" gewachsene Recht zugunsten eines von der Aufklärung inspirierten und allzu schematischen Vernunftrechts beizubehalten, zum anderen mit dem Argument, daß die Rechtswissenschaft - als geschichtliche Rechtswissenschaft - die denkerischen Voraussetzungen für eine solche Gesetzgebung schaffen müsse.
Da nun das in Mittelalter und früher Neuzeit rezipierte und den praktischen Bedürfnissen entsprechend veränderte römische Recht immer noch das gemeinsame Band der deutschen Partikularrechte bildete, war es dieses römische Recht, das durch die von Savigny begründete Historische Rechtsschule mit dem Ziel bearbeitet wurde, dem gegenwärtigen Rechtsleben zu dienen. In der Tat ist es diese intensive Arbeit der Rechtswissenschaft gewesen, die, auch durch Einbeziehung der Erfahrungen der praktischen Rechtsprechung, in Deutschland zum am 1. Januar 1900 in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuch geführt hat; ähnliches ist für das Schweizerische Zivilgesetzbuch zu sagen.
Die Parallele, die Kötz in der heutigen Situation sieht, ist offensichtlich, einschließlich der Tatsache, daß das römische Recht alle heutigen europäischen Rechte geprägt hat. Allerdings hatte sich schon Savigny ironisch über törichte Vorstellungen geäußert, die meinten, man brauche nur das römische Recht wortwörtlich zu übertragen, dann habe man die beste Lösung für alle Rechtsprobleme gefunden. Erst recht gilt diese Ablehnung für heute, und diejenigen, die auf die gemeinsamen Traditionsstränge hinweisen, meinen damit nur, daß das römische Recht eine gemeinsame Verständigungsbasis bilden kann und bildet.
Das gilt nun, und diese Frage macht einen großen Teil des Buches von Kötz aus, entgegen einer verbreiteten Ansicht auch für das englische Recht, also nicht nur für das "civil law", sondern auch für das "case law". Diese Problemlage kann hier nicht wiedergegeben werden. Es sei nur erwähnt, daß einerseits viele gedankliche Operationen auch des englischen Rechts wenn nicht auf römischen Rechtsvorstellungen beruhen, so ihnen doch entsprechen, und daß umgekehrt die kontinentalen Kodifikationen zum Teil auf Gedanken basieren, die aus der praktischen Rechtsprechung hervorgegangen sind.
Ein handgreifliches Faktum macht deutlicher als manche Überlegung, wie von der englischen Rechtswissenschaft selbst die Relevanz der Vereinheitlichungsbestrebungen empfunden wird: Der wohl größte Teil der wissenschaftlichen Werke, die sich damit befassen, stammt von ausländischen, insbesondere deutschen Autoren, sind in englischer Sprache geschrieben oder ins Englische übersetzt (wie Kötz selbst) und sind in bedeutenden Verlagen erschienen, etwa in Cambridge oder Oxford. Die selbstverständlich immer noch bestehenden Unterschiede sprechen besonders dafür, daß nicht auf ein gemeinsames Gesetzbuch zugesteuert werden kann, das nun in der Tat der englischen Rechtstradition fremd wäre, sondern daß noch einige Kraft und Zeit auf die gedankliche Durchdringung verwandt wird.
Damit ist vor allem die Rechtsvergleichung befaßt, und es spricht für die Wirklichkeitsnähe des Vereinheitlichungsstrebens, daß gerade Kötz als Kenner der nichtdeutschen Rechte nicht etwa deren Unterschiede betont und die Hände über dem Kopf zusammenschlägt über laienhafte Vorstellungen der Vereinheitlicher, sondern daß er für die Vereinheitlichung eintritt. Die Parallele, die Kötz zu Savigny und zum römischen Recht zieht, zeigt, daß er sich der historischen Dimensionen des Sachverhalts bewußt ist. Er nennt die Rechtsgeschichte die "schöne Zwillingsschwester" der Rechtsvergleichung. In der Tat könnte man formulieren, daß die Arbeit beider Disziplinen dergestalt einander ähnelt, daß die Rechtsvergleichung das Gegenwärtige in der Horizontalen, die Rechtsgeschichte das Vergangene in der Vertikalen erforscht.
Das Buch von Kötz stellt eine Sammlung kleinerer Arbeiten dar, auch über andere Gegenstände als die hier genannten, einige auch in englischer Sprache. Gewiß sind sie undogmatisch im Sinne von unbefangen, sie sind es aber auch deshalb, weil Kötz gelegentlich milde Ironie über deutsche Arbeiten ausgießt, die sich manchmal in überflüssigen rechtsdogmatischen Anstrengungen verheddern. Trotz der auch von Kötz betonten Wichtigkeit der Rechtsdogmatik erscheint manches überflüssig, insbesondere dem, der sich wie er - rechtsvergleichend - im englischen Recht auskennt, das mancherlei mit praktischem Sinn einer Lösung zuführt. Auffallend oft erscheint bei ihm die nicht weiter explizierte Figur des "Vernünftigen", nicht weiter expliziert vielleicht deshalb, weil er anscheinend selber genau unter diesen Begriff fällt. Das - und natürlich der genius loci Hamburgs - erklärt wohl seine Nähe zum englischen Recht und die elegante, schwerelose Art seiner Schreibweise. Trotzdem wird er es dem Rezensenten hoffentlich nicht übelnehmen, wenn dieser seinen Stil zum Schluß mit einem französischen Begriff charakterisiert: souplesse.
WOLFGANG SCHULLER
Hein Kötz: "Undogmatisches". Rechtsvergleichende und rechtsökonomische Studien aus dreißig Jahren. Herausgegeben von Jürgen Basedow, Klaus Hopt, Reinhard Zimmermann. Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2005. VIII, 285 S., geb., 59,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main