ausführt.
Honneth setzt dagegen, daß auch er Umverteilung gut finde, daß es ihm aber auf der "darunterliegenden Ebene um die ,philosophische' Frage geht, welche der mit den beiden Begriffen jeweils verknüpften Theoriesprachen heutzutage besser geeignet ist, die politischen Forderungen des Tages zu rekonstruieren". Das ist hart, aber richtig. Fraser hat nicht begriffen, was (in Deutschland) Philosophie heißt. Von der intersubjektiven Konstituiertheit von Subjektivität überhaupt wird bei Honneth unter dem Titel Anerkennung geredet. Ohne Du kein Ich, hatte Jacobi griffig formuliert. Und Hegel hatte hinzugefügt, daß beide das voneinander wissen müssen: Ich ist Wir, und Wir ist Ich. Das wechselseitige Anerkanntsein habe seine je verschiedene Wirklichkeit in den Institutionen von Familie, Markt und Staat. Von dem aufgefächerten Anerkennungsbegriff aus können dann Phänomene von Mißachtung bestimmt werden: Niemand mag mich, weil ich zu dick bin; ich werde wegen meines Geschlechtes benachteiligt; der Wissenschaftsbetrieb ignoriert beharrlich meine Schriften.
Für Fraser ist das eine Psychologisierung. Man könnte auch sagen, daß Honneth in ihren Augen nicht verstanden hat, was Politik ist. Da ist etwas dran. All die aktuellen identitätspolitischen Probleme, die Fraser aufwendig mit der Idee der partizipativen Parität untersucht, schiebt er als uninteressant beiseite, da sie unter den Gleichheitsgrundsatz fallen, also im Horizont des Liberalismus bleiben. Kritische Theorie habe sich vor allem um die stumme Qual der Erniedrigten und Geknechteten zu bemühen, denen keine höhere Bildung zu sagen gab, wie sie leiden. Die Qual begründe einen Anspruch, denn in den Fundamenten der Gesellschaft sei die Teleologie eingelagert, für Minderung des Leidens und Mehrung des Glücks aller zu sorgen.
Der Liberalismus, so das genuin hegelsche Argument, täusche sich darüber, daß wir die Gerechtigkeit nur ernsthaft zu unserer Sache machen können, wenn wir unter einer Idee des Guten stehen. Schön, nur was folgt daraus? Doch kaum, daß - wie Goethe gegen Herders Idee von Humanität einwandte - einer des anderen humaner Krankenwärter werden soll. Manche Klage ist hohl, und nicht alles läßt sich machen. Um politisch zu sein, muß der Anspruch zu Initiative und Bewegung werden und sich auf dem Markt der Meinungen behaupten. Hegel hatte darin die Vernünftigkeit des Weltlaufs gesehen. Indem Honneth hier nicht mitmacht, bekommt seine Theorie einen Zug ins Eschatologische, daß alles ganz anders werden müsse.
So haben denn Fraser wie Honneth recht und unrecht zugleich. Man könnte auch sagen, daß sie einen unterschiedlichen Begriff von Begründung haben. Für Fraser ist Begründen das Artikulieren und Verteidigen von politischen Ansprüchen. Philosophie hat dabei ausschließlich die Funktion, das Minimum zu fixieren, dem auch der politische Gegner zustimmen muß. Für Honneth ist Begründen das Offenlegen der Grundlagen dessen, was ist. Das ist politisch nur, insofern es die Handelnden über ihre Voraussetzungen verständigt. Die Probleme zwischen Fraser und Honneth entstehen erst, wo sie ihre Wirkungskreise überschreiten: Wenn Fraser meint, daß sie ein philosophisch zureichendes Verständnis von Staat hat, und wenn Honneth meint, daß er aus seiner Idee des Guten deduzieren könne, wie die Welt aussehen soll. Philosophie oder Politik hätte der Band heißen sollen.
GUSTAV FALKE
Nancy Fraser/Axel Honneth: "Umverteilung oder Anerkennung?" Eine politisch-philosophische Kontroverse. Übersetzung der englischen Originaltexte von Nancy Fraser durch Burkhardt Wolf. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 306 S., br., 13,- [Euro]).
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