Handelns verantwortlich gemacht werden. Aber wo, fragt sich Wehowsky, bleibt da die Motivation für ethische Verantwortung?
Wenn es denn um diese Frage ginge. Nach Wehowsky stellt sie sich den "Hohepriestern" des Marktliberalismus gar nicht. Selbst der Staat arrangiere sich augenzwinkernd mit Bürgerdelikten, verstärke mit sozialer Absicherung eher noch die Unverantwortlichkeit des einzelnen. Außerdem sei dieser in der Rational-Choice-Theorie darauf reduziert, lediglich seinen eigenen Vorteil zu verfolgen. Und obwohl der Markt nur ein neutraler Mechanismus sei, glaubten viele, er verwandele den individuellen Egoismus in den Vorteil aller. Dieses Denkmuster identifiziert Wehowsky als "typisch für die Moderne. Denn das bewußte oder unbewußte Ziel praktischer und theoretischer Bestrebungen liegt in der Abschaffung des Menschen." Nach diesem Denkmuster könne das Individuum zwar Interessen befriedigen, sei aber jener wahren Menschlichkeit beraubt, die jeden als frei und verantwortlich sieht.
So bringt Wehowsky als Gegenpol zu seiner Kritik eine anthropologische Auffassung ins Spiel. In vielen Erfahrungen des Menschen findet er dessen Freiheit und Verantwortung ausgedrückt. Deren genaue Definition und Ableitung ist nicht das Ziel des Buchs. Wehowsky beschränkt sich auf die Feststellung, daß man Verantwortung wahrnehmen könne aufgrund einer Freiheit, die sich selbst im Verhalten hervorbringe. Jeder sei für sich gefordert, ethische Gewissensentscheidungen zu treffen und im Handeln umzusetzen. Rezepte gebe es keine. Dies öffnet nach Wehowsky keineswegs Tor und Tür für Willkür. Er teilt die Meinung der amerikanischen Kommunitaristen, daß man auf vorhandenes Wissen und Werte der Gemeinschaft angewiesen sei und nur mit anderen zusammen eine Identität ausbilde, die man als sinnvoll erfahre.
Ob Gehirnforschung, pränatale Diagnostik, Technikfolgen, Medien, Wirtschaft, Parteipolitik, Geschichtsbewußtsein: Der Leser soll "mit den wichtigsten Themen der gegenwärtigen Diskussion über Verantwortung" bekannt gemacht werden. Deswegen führt Wehowsky in zahlreichen Beispielen und Vorschlägen aus, wie Verantwortung aussieht, und wägt Für und Wider bei den Kontroversen ab. Trotz aller Anstöße bleibt man aber ohne Rat, wie es um die kritisierten gesellschaftlichen Strukturen steht, für die es laut Wehowsky keine individuelle Verantwortung gibt. Zwar spricht er am Schluß kurz über "Verantwortung für unsere Gesellschaft" und führt sein "magisches Quadrat" an: Wettbewerbsfähigkeit ohne Nachteile für die Umwelt und Sicherung der bürgerlichen Freiheit bei Solidarität mit Unterprivilegierten. Damit werden allgemeine Ziele und im Fall der Freiheitssicherung sogar eine Bedingung für individuelle Verantwortung benannt. Wer aber könnte gegen Gegner oder gar Feinde dieser Bedingung und dieser Ziele Sanktionen durchsetzen? Wäre eine genuin politische Verantwortung vonnöten - und wenn, in welchem Rahmen? Ein Text, der auf ethische Überlegungen beschränkt ist, muß vor diesen Fragen enden.
PETRA SCHMIDT-WIBORG
Stephan Wehowsky: "Über Verantwortung". Von der Kunst, seinem Gewissen zu folgen. Verlag C. H. Beck, München 1999. 111 S., br., 14,90 DM.
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