einschließt.
Ihren Anfang nimmt die überaus materialreiche Darstellung bei der Genesis und den zwei Bäumen des Paradieses. Von dort geht es weiter zu der dem Gotte El geweihten Terebinthe von Mamre, wo Abraham zum Stamm-Vater des Volkes Israel und damit auch zum Stammvater jener "Wurzel Jesse" wurde, aus der das Christentum den Erlöser hervorblühen sieht. Neben den kabbalistischen Baum der jüdischen und den Kreuzesbaum der christlichen Exegese stellt Demandt die Baum-Kultur des Orients. In den Upanishaden begegnet das auch in anderen Kulturkreisen geläufige Bild vom umgekehrten Baum, der seine Wurzeln im Himmel hat. Die chinesische Mythologie wiederum kennt einen Weltenbaum mit Namen Kien-mu, der an die germanische Weltesche Yggdrasil erinnert.
Das Gilgamesch-Epos (zweites Jahrtausend vor Christus) könnte als erste literarische Darstellung des Konflikts zwischen Technik und Natur, konkret: zwischen Urwald und gerodeter Kulturlandschaft, angesehen werden. Als versöhnt erscheint dieser Konflikt in der mythischen Vorstellung der Dendrogonie, wonach der Mensch aus dem Baum entstanden ist.
Den Römern gingen die Bäume über alles - jedenfalls, sofern sie nicht der Eroberung transalpiner Gebiete im Wege standen. Wo es freilich galt, das Holz barbarischer Waldheiligtümer für den Limesbau zu nutzen, konnte der Held des Gallischen Kriegs schon einmal selbst zur Axt greifen, um den Aberglauben an rachelustige Baumgötter mit Stumpf und Stiel zu vernichten. Der baumstarke Caesar wußte eben noch, was er dem Ideal eines vir vere Romanus schuldig war. Doch von der Dekadenz blieb auch Rom nicht verschont, und schon bald schoß eine luxuriöse Ziergärtnerei ins Kraut, der die prärousseauistische Sehnsucht nach der natürlichen Natur auf dem Fuß folgte. Konsul Passienus Crispus zum Beispiel, der Stiefvater Neros, war in eine Buche verliebt, die er zu küssen, zu umarmen und mit Wein zu begießen pflegte. Diese Naturverbundenheit schützte ihn freilich nicht davor, von seiner eher weniger dendrophilen Frau ermordet zu werden - o tempora, o mores.
Gegen die stilisierten Dekor-Bäume der folgenden Jahrhunderte nimmt sich die auf absteigendem Aste befindliche Kultur Roms freilich noch recht gediegen aus: 917 nach Christus gab es im Kalifenpalast zu Bagdad einen Kunstbaum, aus dessen Ästen der Gesang mechanischer Vögel erklang. Auf fränkischem Gebiet ging zu dieser Zeit die Königswürde von den Karolingern auf die Sachsen über - auf jene störrischen Heiden also, die von Bonifatius und seinen Nachfolgern nur mit größter Mühe hatten bekehrt werden können. Wie viele Donar-Eichen waren nicht zu fällen gewesen, bis das rauhe Volk der Germanen seinen Baumgöttern abschwor! Ganz glückte die monotheistische Mission freilich nie: Noch der Weihnachtsbaum schließt einen Kompromiß mit dem heidnischen Brauchtum. Und spätestens mit Klopstocks Glorifizierung der deutschen Eiche lebte der alte Kult wieder auf.
Das Kaiserreich erhob die Eiche dann zur Ikone der deutschen Machtpolitik; und nach dessen Ende, am 2. Dezember 1919, beklagte Kaiser Wilhelm den "Giftpilz am deutschen Eichbaum". Eichenwald und Buchenwald und Birkenau - man versteht, warum ein "Gespräch über Bäume" im Jahre 1937 "fast ein Verbrechen" war und warum, entgegen aller "Normalisierung", auch im Jahre 2002 über Buchen nicht gesprochen werden sollte, ohne daß man zugleich über Buchenwald spricht oder daran denkt.
Demandts Kulturgeschichte des Baumes leistet einen wichtigen Beitrag zu diesem Gespräch; der Abschnitt über die "Nazifizierung des Waldes" gehört zu den informativsten des Buches. Das erste gesamtdeutsche Naturschutzgesetz, so ist zu erfahren, stammt aus dem Jahr 1935; zu erfahren ist aber auch, daß Hermann Göring den Wald in "NS-Baumgemeinschaft" umbenannte und denselben als Lehrmeister der Volksgemeinschaft verstand. Seit 1938 gab es in Himmlers Lehr- und Forschungsverein "Ahnenerbe" eine Abteilung "Wald und Baum in der arisch-germanischen Geistes- und Kulturgeschichte" - es war das größte geisteswissenschaftliche Forschungsvorhaben des Dritten Reichs. Viel später, in den achtziger Jahren, ging das "Gespräch über Bäume" in ein Gespräch über das Waldsterben über.
SANDRA KLUWE
Alexander Demandt: "Über allen Wipfeln". Der Baum in der Kulturgeschichte. Böhlau Verlag, Köln 2002. 366 S., 15 Farb-u. 29 S/W-Abb., geb., 25,50 [Euro].
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