ständig Geld gebraucht wurde, empfahl sich der Kontakt zu reichen und einflussreichen Gönnern, zu Bischöfen und Politikern. Umgekehrt waren die Verbindungen meist theologisch begründet. August Hermann Francke suchte das Gespräch mit amerikanischen Pietisten, denn schließlich musste man in Halle informiert sein über den allgemeinen Zustand der Christenheit: Als Voraussetzung der Wiederkunft Christi musste das Wort Gottes überall verkündet und angenommen sein.
Wer hier weiterforschen will, wird von den Reflexionen zum "Raum des Religiösen" profitieren, die Lucian Hölscher beigesteuert hat. Was "religiös" sei in Politik, Gesellschaft und Kultur, müsse auch auf sein Recht befragt werden, so genannt zu werden. Auf der Suche nach einem "systematisch brauchbaren Begriff der Religion oder des Religiösen" nimmt Hölscher darum die "Struktur religiöser Sprachen" in den Blick, die eine dichotomisch strukturierte Raummetaphorik erkennen lasse: Oben und Unten, Innen und Außen, Diesseits und Jenseits, Jetzt und Dann. Von der Neutralität des Staates gegenüber religiösen Bekenntnissen hing in Deutschland, wie in Frankreich oder Italien, die Integrationsfähigkeit der konfessionell entzweiten Gesellschaft ab. "In den USA sorgte dagegen ein intensives zivilreligiöses Sendungsbewusstsein dafür, dass die gegenwärtige politische Ordnung immer im Horizont einer künftigen Verwirklichung des Gottesreiches gesehen werden konnte und auch wurde." Statt um "Innen und Außen" geht es auf der anderen Seite des Teichs noch immer um "Jetzt und Dann".
Solche strukturellen Unterschiede sind Hugh McLeod fremd. Erst in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts habe sich eine Kluft aufgetan, doch noch immer würden Gemeinsamkeiten die Unterschiede überwiegen. Dass in New York ein höherer Prozentsatz der Bevölkerung sonntags in die Kirche gehe als in London, sei dem höheren Katholikenanteil geschuldet. Und wie viel Skepsis man über die darwinsche Evolutionslehre verlauten lasse, das sei doch mehr eine Frage des Anstands, den man in Großbritannien in Religionsdingen stets beherzigt habe.
Von manifesten transatlantischen Differenzen ist hingegen Hartmut Lehmann überzeugt, und er versucht, diesen mittels der vielbeachteten Neuinterpretation der klassischen "Säkularisierungsthese" auf den Grund zu gehen, die Pippa Norris und Ronald Inglehart vor zwei Jahren vorgelegt haben ("Sacred and Secular", Cambridge 2004). Sicherheit fördere den Schwund des Glaubens, so die Kernthese der beiden Politikwissenschaftler, während soziale Verletzbarkeit, Unsicherheit und Risiko der Religion zuträglich seien. Not lehrt beten. Auf die Vereinigten Staaten passt dieses Erklärungsmodell nicht so richtig, doch Norris und Inglehart berufen sich darauf, dass das Leben in "God's own country" eben doch riskanter sei als im Europa saturierter Wohlfahrtsstaatlichkeit. Lehmann hält das, etwa mit Blick auf den Osten Deutschlands, zu Recht für eine problematische Generalisierung. Überzeugender scheint ihm eine Verbindung zwischen Migration und Religion, die den Amerikanern, zumal den Nachkommen europäischer Glaubens- und Wirtschaftsflüchtlinge, noch immer in den Knochen sitzt. Glauben stiftet Identität, die Kirchengemeinde wird zur Heimat in der Fremde.
Auch Europa ist zu einem Kontinent der Masseneinwanderung geworden, und für Lehmann deutet vieles darauf hin, dass die Säkularisierung sich mittelfristig als Episode erweist, nicht als welthistorisches Pilotprojekt. Wenn er vom Aufblühen der Freikirchen, vom Zustrom der Missionare spricht, drängen sich Parallelen zu Olivier Roys Thesen vom Vordringen eines ortlos gewordenen, den eigenen Traditionen theologischer Reflexion entwurzelten Islams, geprägt von individueller Sinn- und Erfahrungssuche, auf.
Obgleich dieses Buch sich auf evangelikale Strömungen, auf den Pietismus beschränkt, eröffnet es an vielen Stellen Durchblicke und Anknüpfungsmöglichkeiten, auch über konfessionelle Grenzen hinweg. Jedem möchte man es in die Manteltasche stecken, der sich für Religion und Politik interessiert, für Europa und Amerika.
ALEXANDRA KEMMERER
Hartmut Lehmann (Hrsg.): "Transatlantische Religionsgeschichte". 18. bis 20. Jahrhundert. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 167 S., br., 20,- [Euro].
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