man zum Spaziergang aufbrach und den Armen der Umgebung Almosen austeilte, fanden sich zumeist Besucherinnen ein; eine unbestimmte Zahl von Nichten und Kusinen sorgten für Konversation und gesellschaftliches Leben und waren insbesondere interessiert, von ihrer Kunst der Stickerei zu lernen. Im Schling- und Flachstich soll sie ungemein versiert gewesen sein.
In Europa tobt seit Jahren Krieg. Das Erdbeben der Revolution hat alle Grundfesten der Welt erschüttert. England taumelt auf den Abgrund zu, regiert von einem wahnsinnigen König. In Chawton aber, im Nordosten Hampshires, verläuft das Leben in bescheidenem Glück. Man glaubt es kaum, dass die bis heute populärsten Werke der Weltliteratur ausgerechnet hier vollendet worden sind.
Zusammen mit ihrer Lieblingsschwester und der alten Mutter, die seit ein paar Jahren auch verwitwet ist, bezieht Jane Austen 1809 ein Landhaus, heute Kult- und Pilgerstätte ihrer internationalen Leserschaft. Als thirtysomething, unverheiratet und ohne nennenswerte Erbschaft, hat sie wohl nach Ansicht ihrer Zeit vom Leben kaum mehr sehr viel zu erwarten. Doch derlei Ansichten kümmern sie wenig. Schon immer hat sie sich den eigenen Kopf und Sinn bewahrt und weiß, worauf sich ihre wahren Hoffnungen richten.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten schreibt sie: als Kind allerlei Phantasiestücke und Parodien, die im Familienkreis zum Zeitvertreib gespielt wurden, als Heranwachsende weitere Fingerübungen, die bald schon ernster und ambitionierter werden, ohne je den sanften Tonfall distanzierter Ironie zu leugnen, der zu ihrem Markenzeichen wird. An allen Manuskripten hat sie lang gearbeitet und sorgfältig gefeilt. Jetzt in Chawton ist endlich die Zeit gekommen, da sie in dichter Folge und mit einigem Erfolg erscheinen - anonym natürlich, denn für Geld Romane zu veröffentlichen ziemt sich für Damen der Gesellschaft nicht.
Doch Geldgewinn stellt sich mit wachsendem Erfolg, über den sie genau Buch führt, durchaus ein. Aber worin genau das Geheimnis ihrer eigenen Erzählkunst liegt, die bis in unsere Zeit so sehr bewegt und begeistert, lässt sich nicht leicht bestimmen. "Unter allen großen Schriftstellern ist sie am schwierigsten auf frischer Tat von Größe zu ertappen", erklärte schon Virginia Woolf.
Der New Yorker Literaturwissenschaftler Park Honan, weithin bewährt in dem Metier, versucht es mit einer Biographie, als ließe sich aus ihrem Leben Aufschluss darüber gewinnen. Vor zwanzig Jahren erstmals erschienen, liegt seine Lebensschilderung nun überarbeitet auf Deutsch vor. Solide recherchiert, lebendig erzählt und passabel übersetzt, vermittelt sie ein anschauliches Bild der Zeit wie der Person, das gleichwohl vor allem eines zeigt: wie unergiebig dieser Ansatz ist.
Ihr kurzes Leben verlief ganz in eng umgrenzten Bahnen. Zwischen dem elterlichen Pfarrhaus auf dem Lande, der Kurstadt Bath, wohin die Familie später zog, und dem Küstenörtchen Lyme, wo man Fossilien sammeln ging, bis nach Chawton, wo sie im Alter von einundvierzig Jahren starb, erscheint ihre Geschichte von so durchschlagender Ereignislosigkeit, dass alle Anekdoten über Ballnächte und jugendliche Freier es auch nicht spannender gestalten. Wer wirklich wissen will, was Glück ist, der lese Jane Austens meisterhafte Romane: Hierin, nicht im Biographischen, teilt sich ihre Größe mit.
TOBIAS DÖRING
Park Honan: "There is Happiness". Jane Austen und ihre Zeit. Aus dem Englischen von Michael Schmidt. Verlag Artemis & Winkler, Düsseldorf 2009. 416 S., geb., 28,- [Euro].
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