einen Pfad durchs Dickicht der Sekundärliteratur, der kann sich getrost der Führung Austs anvertrauen.
Der Strom von Studenten, der in diesem Jahr durch die Fontane-Seminare geschleust wird, und auch die wißbegierige Fontane-Leserschaft finden hier einen vielseitigen Service. Eine Chronik der Lektüre Fontanes zwischen 1829 und 1895, Tabellen zu den Stoffen und deren Vorlagen, zum Aufbau und zu den Motiven sorgen für raschen Durchblick; mitbedacht sind "literaturpädagogische" Fragen.
Getragen wird die Konstruktion durch eine Säulenreihe von Kurzinterpretationen und Kommentaren zu den Erzählungen und Romanen. Von der Entstehung der Werke über die Formen der Erzählkunst Fontanes bis zu den Honorarzahlungen erfährt der Leser alles Nennenswerte. Die Darstellung bleibt dem praktischen Zweck des Studienbuchs untergeordnet, der Hohen Schule der Sprachkunst ist sie nicht verpflichtet.
Kommentare zu einigen Balladen schließen sich an, die knappe Auswahl orientiert sich am Lehrplan der Schulen. Diese Beschränkung ist bedauerlich. Denn so drängt sich die grelle Dramatik vor, während die wunderbaren lyrischen Zwischentöne des späten Fontane weggeblendet werden: die milde Klage über erfahrenen Undank ebenso wie die Huldigung an die Lebenskunst der Entsagung.
Wer sich auf Lichtenbergs Sudelbücher und -blätter bezieht, muß wissen, daß solch geistiger Adel verpflichtet: Einige Hefte in Heinz Ludwig Arnolds Reihe "Göttinger Sudelblätter" kommen dieser Verpflichtung nach. Den aphoristischen Witz Lichtenbergs wollte Fontane zwar mit seiner erzählerischen Ironie nicht beerben, doch gehörte ein Fontane-Heft in die Reihe. Geschrieben hat es Hanjo Kesting, der Essayist und Rundfunkmann.
Von der "zerlesten Lebensmusik" in Fontanes "Stechlin" spricht Thomas Mann. Diesem Tonfall versucht Kesting in Fontanes Romanen überhaupt nachzuhorchen. Zurückgewiesen wird Gottfried Benns Vorwurf des "Pläsierlichen"; vom bloß Gefälligen müsse das Anmutige und Charmante unterschieden werden. Benns Vorhersage, Fontanes Romane würden bald nur noch aus historischen Gründen gelesen werden, ist durch die Fontane-Renaissance der Nachkriegszeit gründlich widerlegt. Kesting zitiert Uwe Johnsons "Jahrestage": "Bei ihm (in ,Schach von Wuthenow') hatten wir das Deutsche lesen gelernt."
Fontanes Profil wird durch den Vergleich mit Wilhelm Raabe genauer bestimmt: weniger beschaulich und versponnen, großstädtisch-urban statt kleinstädtisch-provinziell, weltläufig-nüchtern statt sonderlingshaft und kauzig. Aber zu einer jubiläumsüblichen Apotheose setzt Kesting nicht an. Weder wird Fontane die Unerbittlichkeit Flauberts noch die Objektivität Tolstojs bescheinigt. Aber gerade indem Kesting den europäischen Kontext immer gegenwärtig hält, klärt er den besonderen Rang des Erzählers Fontane inmitten der zeitgenössischen deutschen Romanautoren.
Gewinnbringend wird die Lektüre des schmalen Bandes vor allem durch seine essayistische Dichte. Die Romananalysen bleiben immer im Anschaulichen verankert. Sie schleppen keinen Ballast von Angelesenem mit sich. Kesting verweist, um den Nutzen der England-Reisen für Fontanes eigene Romanentwürfe zu erläutern, auf das Gefälle zwischen Charles Dickens' Roman "Hard Times" (1854), der Darstellung industrieller Arbeitswelt, und Adalbert Stifters gleichzeitig vollendetem "Nachsommer", dessen Schauplatz "in einer anderen Welt zu liegen" scheint. Er hat seine Vorlieben: für die historische Novelle "Schach von Wuthenow", für den Roman "Irrungen, Wirrungen" - trotz Fontanes eigenem Wort von der "angekränkelten Sentimentalwelt" des Buches -, für "Jenny Treibel", den Roman des Bürgertums und Fontanes "schärfstes Buch", und natürlich für den "Stechlin", den Roman mit der adligen Kunstfigur "fast im Sinne eines Autoporträts".
Dieser Essay kann und will weder mit einem enzyklopädischen Studienbuch noch mit neueren Fontane-Biographien konkurrieren. Aber er ist, aller akademischen Gespreiztheit abhold, eine vorzügliche Einführung in Fontanes erzählerisches Werk und mit seiner eleganten Sprache geeignet, dem großen Erzähler des neunzehnten Jahrhunderts neue Freunde zu gewinnen. Den alten Freunden macht er "ihren" Fontane noch vertrauter. WALTER HINCK
Hugo Aust: "Theodor Fontane". Ein Studienbuch. A. Francke Verlag, Tübingen und Basel 1998. 250 S., br., 29,80 DM.
Hanjo Kesting: "Theodor Fontane. Bürgerlichkeit und Lebensmusik". Wallstein Verlag, Göttingen 1998. 64 S., br., 24,- DM.
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