nicht zuletzt, wenn man feststellt, dass etwa die Fontane-gestützte Rekonstruktion von Berlins Mitte eben doch von dem abwiche, was historische Stadtpläne und andere Dokumente zur Architektur der Stadt überliefern.
Von dieser Spannung leben Bände wie Bernd W. Seilers "Fontanes Berlin", dessen Vorzug nicht zuletzt in seiner üppigen Bebilderung besteht. Geordnet ist er nach den einzelnen Berliner Romanen, geboten wird etwa im Fall der topographisch weit ausgreifenden "Frau Jenny Treibel" eine Fülle von fotografierten oder gemalten Bildern, die den Weg der Figuren nachzeichnen: den Auftakt in der Villa des Fabrikanten Treibel in der Köpenicker Straße; die Stationen des gemeinsam unternommenen Heimwegs von Marcell Wedderkopp und seiner schönen Cousine Corinna Schmidt; schließlich die große Fahrt zum Halensee mit dem Ausflug zum Forsthaus Paulsborn, auf dem Jenny Treibel am Arm ihres amüsierten Jugendfreundes Schmidt alter Zeiten gedenkt, während ihr Sohn Leopold, geleitet von Corinna, gar keine andere Wahl hat, als dem klugen Mädchen einen Heiratsantrag zu machen.
Die gut erläuterte, dichte Bilderstrecke lädt hin und wieder dazu ein, die Welt mit dem Text zu verwechseln, auch wenn sie umgekehrt durch die Abbildung moderner Gebäude an historischen Plätzen fortwährend die Illusion durchbricht, der Roman sei etwa noch heute im Berliner Stadtbild aufzufinden.
Einen anderen Weg der Annäherung geht Roland Berbigs voluminöse "Theodor Fontane Chronik", die in fünf schweren Bänden aus gedruckten wie unpublizierten Quellen schier alles zusammenträgt, was wir an biographischen Realien zum Autor wissen können. Dass Berbig manchen Irrtum berichtigt und manche Gewissheit der früheren Forschung anzweifelt, ist verdienstvoll genug. Vor allem aber gewichtet er sein chronologisch angeordnetes Material, wo er - etwa aus Briefen - auswählt und das Wichtige im Wortlaut mitteilt, auf das weniger Wichtige verweist, indem er angibt, wo exakt es gefunden werden kann.
Man folgt diesem Lebensbericht vom 24. März 1819, der Hochzeit von Theodor Fontanes Eltern, bis zum 21. Februar 1902, dem Tag der Trauerfeier für Fontanes Witwe Emilie - der Autor war schon am 20. September 1898 gestorben -, mit großem Gewinn. Und das nicht nur, weil sich durch die ausgedehnte Bekanntschaft Fontanes, durch seine Lektüre und sein Interesse an den Erscheinungen seiner Zeit schon in den hier ausgebreiteten Realien ein Panorama ergibt, wie man es in dieser Fülle kaum ein weiteres Mal finden wird. Sondern auch, weil man darin eine geradezu fontanehaft anmutende Mischung aus Kleinem und Großem finden wird, beides mit derselben Sorgfalt behandelt: Fontanes letztes Mittagessen bestand aus Kartoffelsuppe, Hammelrippchen und Milchgrieß, erfahren wir im fünften Band und - im ersten - dass bei der Beerdigung des sechs Monate alten Peter Paul Fontane am 8. April 1854 außer den Eltern nur "ein besoffener Leichenkutscher und die untergehende Sonne" anwesend waren, wie Fontane an den Freund Theodor Storm schreibt: "Der Kreis der Erlebnisse ist nun so ziemlich geschlossen, nur das eigne Sterben fehlt noch."
Bis zum Erscheinen seines ersten Romans sollte es da noch vierundzwanzig Jahre dauern.
TILMAN SPRECKELSEN.
Bernd W. Seiler: "Fontanes Berlin. Die Hauptstadt in seinen Romanen".
Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2010. 192 Seiten, zahlr. Abb., geb., 26,90 [Euro].
Roland Berbig: "Theodor Fontane Chronik".
De Gruyter, Berlin 2010. 5 Bde., zus. 3905 S., geb., 599,- [Euro].
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