die großen Zeitschriften wie den "New Yorker" geschafft haben, aber genau wissen, was ihre Leser wollen, und jederzeit in der Lage sind, eine effektvolle, gut gebaute short story abzuliefern.
Der Südstaatler Andre Dubus (1936 bis 1999) war ein solcher Typ. Als Sohn eines schriftstellernden Vaters in Louisiana geboren, unter katholischen Kleinbürgern aufgewachsen, diente er sechs Jahre als Marineoffizier, bevor er an der Universität von Iowa "creative writing" zu studieren begann. Danach unterrichtete er mehr als zwanzig Jahre Literatur und Schreiben an einem kleinen College in der Nähe von Boston. 1966 erschien sein erster Roman ("The Lieutenant"), eine Hommage an Faulkner, die wenig beachtet wurde. Dubus' Begabung lag offensichtlich auf dem Gebiet der Kurzgeschichte. Er veröffentlichte seine Stories fast alle in kleinen Magazinen, bevor er sie zu Sammelbänden zusammenstellte. So machte er sich allmählich einen Namen als kleinformatiger Chronist stürmischer Geschlechterbeziehungen, der aus linkskatholischer Perspektive, resolut verkürzend und ohne formale Finessen, den emotionalen Problemen seiner Zeitgenossen zu Leibe rückt.
Im Jahr 1986 wurde ihm auf einer Autobahn bei dem Versuch, anderen Autofahrern zu helfen, ein Bein zerquetscht. Erst nach komplizierten Operationen stand fest, dass er, schwerst behindert, im Rollstuhl würde weiterleben können. Dubus hat sich von den Folgen dieser Katastrophe nicht erholt. Vor dem Unfall ein lebenslustiger College-Professor mit gut gehender Kurzprosa-Manufaktur, war er nun ein von Schmerzen und Depressionen gebeuteltes Wrack. Seine Ehe zerbrach, Schreiben schien unmöglich. Unter Qualen brachte er einen Essayband ("Broken Vessels", 1991) zu Stande, in dem er seine Verwandlung "vom Zweibeiner zum Krüppel" rekonstruierte. Vier weitere Jahre hat er gebraucht, bis er wieder short stories schreiben konnte. Es war sein katholischer Glaube, der ihm half, die radikalen Veränderungen seiner Lebensumstände zu verkraften. ("Ich glaube an Gottes Gegenwart in jeder Minute. Bei jenem Unfall muss ein Engel auf meiner Schulter gesessen haben.")
Die Geschichten, die jetzt unter dem Titel "Tanz zu später Stunde" in einer zupackenden Übersetzung von Benjamin Schwarz auf Deutsch erschienen sind, unterscheiden sich von den früheren Sammlungen ("Stimmen vom Mond", 1985; "Ehebruch und anderes", 1988; "Sie leben jetzt in Texas", 1991) durch eine größere Sensibilität des Erzählers. Hatte Dubus früher vorwiegend Durchschnittsamerikaner in scheinbar harmlosen Konstellationen beschrieben und eine knappe, bisweilen raue Tonlage bevorzugt, so zögert er jetzt häufiger, scheint mehr in sich und seine Figuren hineinzuhorchen.
Angst ist das unterschwellige Generalthema, Angst vor dem Alleinsein, vor den eigenen Stimmungen, dem Eindringen von Fremden. Sie überträgt sich schnell auf den Leser: Man bangt mit dem Erzähler um den Ausgang der Geschichte. Ein Beispiel ist "Gnade" (soll diese Übersetzung von "Blessings" an Joyce' berühmte Geschichte anspielen?), eine auf mehreren Ebenen operierende Story, in der eine Frau nachts von der Erinnerung an eine schreckliche Situation geweckt wird: Bei einem Angelausflug sank das Boot mit der ganzen Familie an Bord, Haie umzingelten die hilflos im Wasser Treibenden. Nur durch religiöse Ekstase, durch das Gefühl pantheistischen Einsseins mit der Natur, in das sie sich inbrünstig hineinsteigert, gelingt es der Frau, mit dem Erlebnis fertig zu werden.
Emotionale Ehrlichkeit des Erzählens ist in der Literatur nichts Selbstverständliches. Der Ton spontanen Mitgefühls klingt selten rein, weshalb wir als Leser zögern, bevor wir uns der Stimme eines Autors anvertrauen. Andre Dubus ist ein Autor, dessen Wirkung vor allem auf der Echtheit seiner auktorialen Stimme beruht. Zwar scheinen seine religiösen Exkurse bisweilen aufgesetzt, die Verknüpfung kleiner Anlässe mit großen Zusammenhängen hat etwas Gewaltsames, das schrankenlos Sentimentale kann ermüden - aber den Ton der Wahrhaftigkeit trifft er mit instinktiver Sicherheit. Das gibt seinen Geschichten eine Eindringlichkeit, der man sich kaum entziehen kann. Dubus' Figuren sind weder zu kurz gekommen noch neurotisch, sie haben unauffällige Berufe und nur wenig Ehrgeiz, und dennoch brechen schicksalhaft Gewalt und Grausamkeit über sie herein: Ein Schüler erschießt den Freund seiner Schwester ("Der Eindringling"), eine Hausfrau schlägt zwei vermeintliche Vergewaltiger mit der Bratpfanne in die Flucht ("Aus dem Schnee"), aber ebenso häufig entsteht die Spannung allein aus Beziehungen. Die Männer sind vom Typ des weichherzigen amerikanischen Raubeins, die (sympathischeren) Frauen stets bereit für die Tröstungen des Glaubens. Die katholisch erzogene Luanne Arceneaux erscheint bedeutsam in drei Stories: als Partner verschleißende Studentin, heiratswütige Verlagsangestellte, schließlich als geläuterte Familienmutter. Vom bewunderten Vietnam-Veteranen Ted Briggs hat sie gelernt, ihr Leben als "eine Kette von geheiligten Momenten" zu begreifen.
Der "Tanz zu später Stunde", eine konzentrierte, mehrfach gefilterte Geschichte, die an den späten Raymond Carver erinnert, zeigt Dubus auf der Höhe seines Könnens. Eine Barfrau, die das Risiko der Liebe scheut, weil sie die eigenen Schwächen kennt, verliert ihre Ängste, als ein Rollstuhlfahrer die Barbesucher in eine Stimmung versöhnlicher Anteilnahme versetzt; hier weiten sich minimalistisch gezeichnete Szenen unversehens zu einem bewegenden Bild elementarer Menschlichkeit.
HELMUT WINTER
Andre Dubus: "Tanz zu später Stunde". Stories. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Benjamin Schwarz. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2000. 315 S., geb., 39,80 DM.
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