Deutschland und Rußland im Sommer 1941 von englischer Seite als Verbündeter Hitlers geschmäht wurde, ist überaus gelungen.
Doch noch geist- und liebevoller ausgeführt wurde die Parodie auf Heinrich Hoffmanns "Struwwelpeter", die 1941 unter dem Titel "Struwwelhitler - A Nazi Story Book" beim Zeitschriftenverlag The Daily Sketch and Sunday Graphic erschienen ist - für den damals nicht unerheblichen Preis von eineinhalb Schilling. Als Autor firmierte ein gewisser Doktor Schrecklichkeit, doch die wahren Verfasser waren Robert und Philip Spence. Die beiden 1871 und 1873 geborenen Brüder hatten Kunst studiert und zählten unter den Illustratoren ihrer Zeit zur Elite. Dementsprechend gut sind ihre Umarbeitungen der Hofmannschen Originalzeichnungen geraten. Doch die beiden Spences begnügten sich nicht mit ihrem eigenen Metier, sondern dichteten auch noch sämtliche Fabeln um.
Das geschah natürlich auf englisch, aber der "Slovenly Peter" galt auch im Vereinigten Königreich längst als Klassiker, und die Verse, an denen sich unter anderen auch Mark Twain als Übersetzer versucht hatte, genossen ähnliche Bekanntheit wie in Deutschland. Dennoch übersetzten die Spences die Verse völlig neu und änderten sie dann so ab, daß sie zu Spottgesängen wurden. So endet etwa der Achtzeiler des Titelgedichts: "And the sloven, I declare, / Never once has combed his hair; / Piecrust never could be brittler / Than the word of Adolf Hitler."
Daß wir die kleine Preziose wieder lesen können, verdanken wir dem Berliner Autorenhaus Verlag und den Erben der Brüder Spence, die nicht nur die Rechte für einen Nachdruck freigegeben, sondern auch noch zugunsten des Struwwelpeter-Museums in Frankfurt am Main auf alle Einkünfte daraus verzichtet haben. Von Joachim Fest sehr persönlich eingeleitet, bietet der kleine Band zudem die deutsche Rückübersetzung der englischen Verse - und hier liegt das einzige Problem der schönen Ausgabe.
Denn wenn Dieter H. Stündel die eben zitierten Zeilen ins Deutsche bringt, dann hält er sich streng an den englischen Text: "Und der Schmutzfink, wie ich mein', / kämmte nie das Haar sich fein! / Schwerer bricht die Krust' der Torte / als der Hitler seine Worte." Als Übersetzung läßt das den Sinn gut nachvollziehen, aber es hat nichts mehr mit dem Aufbau von Heinrich Hoffmann zu tun. Wie im platonischen Höhlengleichnis kommt man durch Hin- und Herübersetzung gleich mehrfach von der Wahrheit ab.
Das mindert aber den Genuß nicht, Stalin als großen Nikolaus zu sehen, der die frechen Nazibuben Hitler, Goebbels und Ribbentrop in sein Faß mit roter Tinte taucht, weil die drei den armen Bolschewik verspottet haben. Oder den "Führer" als Zappeladolf am Mittagstisch der Weltmächte und Heß als Fliegenden Rudolf. Oder zu sehen, wie sich die Propaganda der Zeit geglichen hat. Denn wo die deutschen Karikaturisten im Weltkrieg das englische Empire fest im Griff des jüdischen Kapitals zeichneten, da bieten die Brüder Spence ihr Bild eines Schlotbarons von der Ruhr, der an seinen Fäden die Marionetten von Wehrmacht und Nazipartei wüten läßt.
Und dieser eigenständigen Zeichnung, die auf keine Vorlage Hoffmanns zurückgeht, haben sie noch ein Widmungsgedicht beigegeben, das ihr Buch einer ganz bestimmten Klientel vorbehält: "When the children have been good, / That is, to be understood, / Good at killing, good at lying, / Good at on each other spying. / . . . Only such as these shall look / At this pretty picture book." Jetzt dürfen auch wir anderen von den bösen Streichen lesen, die die kleinen Nazis spielten.
ANDREAS PLATTHAUS
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