folgt in "Gedanken und Gefühle" die Betrachtung kulturhistorischer Aspekte. Dieser Teil ist besser gelungen, behandelt allerdings fast ausschließlich zeitgeschichtliche Themen. Vereinfacht gesagt: Zustände und Entwicklungen vor dem Ersten Weltkrieg drängen sich im Abschnitt zur Geistesgeschichte, "Geistesströmungen - Von der Reformation bis zur Moderne", der mit knapp zwanzig Seiten auskommen muss.
Eigentlich vernachlässigbar scheint im Buch alles, was vor 1740 geschehen ist, beginnt die intensivere Untersuchung doch erst, und damit ganz traditionell, wenn es um die Beziehung zwischen Österreich und Deutschland geht, mit dem Verhältnis zwischen den Herrschern Maria Theresia und Friedrich II. Die spürbaren Bemühungen um ein etwas weiteres Blickfeld können nicht verhehlen, dass für eine Studie, die über den oft bemühten Antagonismus Wien-Berlin hinausgeht, der Rahmen einer "kurzen Geschichte" zu einschränkend ist. So unterhaltsam einige Details der Epoche von etwa 1860 bis zu den Umsturzjahren 1918/1919 - ein Schwerpunkt der Forschungstätigkeit der Autoren - auch zu lesen sind: Es kommen die staatsgeschichtlichen Betrachtungen kaum über das Klischee hinaus, das schon Ödön von Horváth 1931 in seinen "Geschichten aus dem Wiener Wald" im hasserfüllten Dialog zwischen dem schlagenden deutschen Studenten Erich und dem österreichischen Rittmeister auf den Punkt brachte: "Ich habe gesagt, dass die Österreicher im Krieg schlappe Kerle waren und wenn wir Preußen nicht gewesen wären -" "Dann hätten wir überhaupt keinen Krieg gehabt!" Leider wird Horváth gar nicht zitiert.
Um einiges üppiger fällt der Erkenntnisgewinn dort aus, wo nicht direkt nach Unterschieden gesucht wird, sondern Gemeinsamkeiten entdeckt werden, die man einander dennoch wechselseitig vorwirft. So spiegelt sich die angebliche österreichische Titelsucht jenseits von Passau und Kufstein im ostentativen Verzicht, mit akademischen Titeln angesprochen zu werden. Mehrmals betont wird dennoch das Problem der gemeinsamen Sprache, die sich als gar nicht so gemeinsam entpuppt. Vom bisweilen sogar in diversen internationalen Verträgen geregelten, meist kulinarischen Vokabular - etwa Marille, Karfiol und besonders die Palatschinke - einmal abgesehen, grenzt sich das österreichische Deutsch durch eine etwas abweichende Syntax und Zeitenfolge selbst von dem nah verwandten Bairischen ab.
Die Kapitel "Kinowelten" und "Tele-Visionen" behandeln diese Sprachfragen sowie die nationalen Rollen der Medien sehr ausführlich, auf einen Vergleich der Lage im Verlagswesen wird hingegen beinahe vergessen. Buchhandel und Literatur ließen ähnliche Schlüsse zu, vermuten die Verfasser. Bestärkt durch einen Blick auf den österreichischen Fremdenverkehr, orten sie vorauseilenden Gehorsam in der Angleichung der Sprachniveaus. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen wollen die Autoren deshalb mehr in die Pflicht genommen sehen bei der Aufgabe, dem resultierenden sprachlichen Einheitsbrei etwas entgegenzusetzen. Ein frommer Wunsch, wird man als gelegentlicher Fernsehkonsument nicht umhinkommen zu konstatieren. In Wien würde man bei vergleichbar aussichtslosen Unterfangen übrigens eine Beschwerde beim Salzamt anempfehlen.
Bei einem doch eher schmalen Buch sollte man erwarten dürfen, dass die Koordination von drei eingespielten Verfassern gut funktioniert. Doch wurden einige Wiederholungen übersehen. Im Prolog wollte das Buch noch "einen kleinen Beitrag zum besseren Verständnis leisten und über gängige Stereotypen hinauskommen", im "Schlussakt" - anstelle eines Epilogs - verleihen die Autoren der Hoffnung Ausdruck, "dass die Hassliebe zwischen Österreich und Deutschland nicht kleiner geworden ist, aber möglicherweise etwas weniger ,notorisch'". Das Buch buhlt allerdings ganz offensichtlich um eine Antwort aus dem Nordwesten. Die Chancen, dort wahrgenommen zu werden, stehen allerdings nicht besonders gut, orientiert man sich an der gegenseitigen touristischen Zuwendung: In Österreich nächtigen etwa vierzig Prozent deutsche Besucher, in Deutschland empfängt man gerade mal ein halbes Prozent an Gästen aus der Alpenrepublik. Eine recht einseitige Sache.
MARTIN LHOTZKY
Hannes Leidinger, Verena Moritz, Karin Moser: "Streitbare Brüder". Österreich : Deutschland. Kurze Geschichte einer schwierigen Nachbarschaft. Residenz Verlag, St. Pölten 2010. 298 S., geb., 21,90 [Euro].
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