sich dort in einer Hippie-Gemeinde auf den Andamanen-Inseln.
Im Wechsel treibt Heun die Geschichten auf ihren jeweiligen Höhepunkt zu. Dabei wartet "Strawberry Fields Berlin" mit zahlreichen Neologismen ("frustverdreht") und wunderbar bösartigen Personenbeschreibungen auf. Nachdem der Boulevardjournalist Schüttler die Hetzjagd auf ein Artikelopfer beendet hat, lässt er sich schlecht gelaunt in einem Café nieder und charakterisiert seine Sitznachbarin mitsamt Kind so: "Und dann nimmt man sich den Dienstagvormittag frei, der Klempner klingelt und antwortet auf die Frage, ob er einen Kaffee wolle: ,Ne, hab schon einen heute. Det drückt sonst so.' Wenn ebendieser Satz die größte Normabweichung der letzten zwölf Wochen ist und man darüber lacht mit dem Freund, mit der Arbeitskollegin und mit Anke und Rüdi, dann entschließt man sich zur größten Anmaßung, man kriegt ein Kind, dreißig Kilo Glücksund Lebensforderung."
Wie Schüttler durch die Nachtclubs der Hauptstadt stolpert, den von ihm selbst kreierten Drink "Gin Borgward" fest umklammernd, erinnert er an eine Mischung aus Christian Krachts Ich-Erzähler im Roman "Faserland" und Hunter S. Thompson. Das ist eine Ahnenreihe, die im Roman auch explizit anklingt. Denn "Strawberry Fields Berlin" teilt ganz offen das unterschwellige Motto von "Faserland": Gegen Ende ringt sich Schüttler, von seinem Dauerfeuerwerk an Bissigkeit und Sarkasmus selbst ermüdet, zum Bekenntnis durch, etwas zu vermissen, "dieses breite Gefühl, etwas schön finden zu dürfen, ohne dass darunter und darüber fünf Ironieebenen mitschwingen". Schüttlers Welt ist verseucht durch den sich über alles erhebenden Willen, die Dinge lächerlich zu machen. Sein Organismus erstarrt in emotionaler Abwehrhaltung.
Im Gegensatz zu "Faserland" fehlen allerdings in "Strawberry Fields Berlin" die leisen Töne fast vollständig. Der Roman ist neongrell erleuchtet und springt dem Leser bei jedem zweiten Satz entgegen. Heun, der eine bemerkenswerte Poetry-Slam-Karriere vorzuweisen hat und den Berliner Wettbewerb zweimal gewonnen hat, agiert in dieser Tradition: mit einer erotischen Verehrung für das Wort, die jedes Bild, jeden Gedanken maximal auskostet. Was im Hexenkessel von Slambühnen aber noch funktionieren mag, überdehnt den Roman. "Strawberry Fields Berlin" gibt sich einen etwas zu nihilistischen Anstrich, denn fast jeder gute Satz wird durch den nachfolgenden zertrümmert. Für den Roman selbst gilt nie, was Schüttler einmal über eine Dame sagt, die er in der Disco kennenlernt: "Sie provoziert mehr kess als notorisch rotzig, dabei aber scharfzüngig und unerträglich charmant."
Später, als Schüttler seinen Job verliert und Robert merkt, dass Liebe nicht zwingend auf Gegenseitigkeit beruhen muss, bricht in den Hedonismus der Hauptfiguren doch noch die Ernsthaftigkeit des Lebens ein. Allerdings nur halbwegs überzeugend, wie am Umgang Schüttlers mit seinem Hipster-Feindbild deutlich wird. Denn wenn er etwa einem Kind ein Eis in Aussicht stellt, damit es einem zufällig vorbeilaufenden Hipster in die Hacken tritt, wenn er heimlich Abführmittel in ihren Drinks auflöst und sie verprügelt, dann wird jedwede Reaktion der Malträtierten ausgeblendet. Falls Heuns Hipster überhaupt etwas sagen, dann "öhm", "ähm" oder andere eher wenig kluge Sätze. Es sind leblose Hintergrundfolien, auf denen der Autor den Hass seines Protagonisten durchexerziert. Und genau jene Zombies, als die Schüttler sie sich vorstellt.
In dem Moment, als Heun seine Erzählstränge zusammenführt, schimmert der Aufruf, das Leben zu lieben, zu programmatisch durch den Roman. Vielleicht geht es dem Leser so wie mit den Werken von Hermann Hesse: Wer sie als Achtzehnjähriger liest, fühlt sich verstanden und blickt hasserfüllt auf die profane, philisterhafte Welt. Mit dreiundzwanzig beginnt man heimlich, die "Ahs" und "Ohs" am Seitenrand auszuradieren, mit Mitte zwanzig werden die Bücher in den Keller gestellt, einige Jahre später dann verkauft. Alles eine Frage des Alters. Für den Debütroman eines Vierundzwanzigjährigen ist das allerdings nicht weiter problematisch.
MORTEN FREIDEL.
Julian Heun: "Strawberry Fields Berlin".
Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2013. 224 S., geb., 18,95 [Euro].
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