abgewürgt werden. Der Politikwissenschaftler David Ranan hat nun mit seinem Essayband "Sprachgewalt. Missbrauchte Wörter und andere politische Kampfbegriffe" ein Glossar der dreißig wichtigsten politischen Begriffe unserer Zeit herausgegeben und damit einen Leitfaden für eine differenzierte politische Sprache vorgelegt. In diesem untersucht er deren Sprachgeschichte und fragt, wer die Begriffe wann, wo und aus welchem Grund für seine politischen Ziele ge- oder missbraucht.
Seine These: Fake News und die "missbrauchten" Wörter waren schon immer Teil politischer Rhetorik, wurden früher schlicht als "Propaganda" bezeichnet und sind ein machtvolles Instrument im politischen Wettbewerb. Der Sprachwissenschaftler Victor Klemperer, auf den Ranan sein Buch bezieht, sagte dazu: "Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein gesamtes seelisches Wesen je selbstverständlicher, je unbewusster ich mich ihr überlasse." Sein Aufsatz "Lingua Tertii Imperii", der 1947 publiziert wurde und sich mit der Macht der Sprache im Dritten Reich auseinandersetzt, gilt als eines der Grundlagenwerke zur Bedeutung der politischen Rhetorik in Diktaturen. Mit diesem Essay setzt auch das Buch von Ranan ein. Der Band ist ein umfassendes Kompendium. Nicht nur Negativbegriffe wie Terrorismus, Märtyrer oder Fundamentalismus werden in ihrer politischen Etymologie erläutert und in ihrer Verwendung analysiert, auch positiv besetzte Wörter wie Demokratie, Freiheit und Wahrheit werden von den dreißig beteiligten Autoren vorgestellt. Dazu gehören eine Vielzahl führender Forscher aus den Politik- und Kommunikationswissenschaften, der Geschichtswissenschaft und der politischen Praxis.
Ranan, geboren 1946 in Tel Aviv, gehört selbst zu den bedeutendsten Wissenschaftlern in der Antisemitismusforschung. Seit mehreren Jahren ist er Fellow des Birkbeck Institute an der University of London. Dort untersucht er den Antisemitismus-Diskurs in Deutschland und dessen Politisierung auch innerhalb der Parteien, wie auch die Problematik der Gleichsetzung von Israel-Kritik, Zionismus und Antisemitismus.
Am aufschlussreichsten ist das Kapitel zum Begriff "Fake News", verfasst von der österreichischen Kommunikationswissenschaftlerin Jana Laura Egelhofer, die sich darin mit der Geschichte des Begriffs auseinandersetzt und aufzeigt, dass schon vor Donald Trump "Fake News" als Wort existierte. Anfang der Zweitausenderjahre war es aber noch satirisch konnotiert. Politische Satireformate, wie die "Daily Show" von Jon Stewart, wurden so bezeichnet. Seit 2016 ist der Begriff nicht mehr aus der politischen Debatte wegzudenken. Sie betrachtet das Wort aus zwei Perspektiven - als Genre und als Label. Das Genre "Fake News" sieht den Begriff als bewusste, pseudojournalistische Information, die von Politikern genutzt wird, um falsche Fakten zu verbreiten. Doch viel häufiger komme das Label "Fake News" zum Einsatz als politisches Instrument zur Delegitimierung von Nachrichtenmedien. Dies sei noch viel gefährlicher, weil es die Medien diskreditiert. Zudem beschreibt sie den Forschungsstand der Kommunikationswissenschaft zum Begriff und zeigt auf, dass die inflationäre Verwendung der Phrase "Fake News" in den Medien, laut Studien, genau den Kräften helfe, die Fake News verbreiten.
Interessant sind auch die Analysen, die sich mit Begriffen beschäftigen, die im Laufe der Zeit eine Neukonnotation erfahren haben. Zum Beispiel Heimat, Volk, Kosmopolitismus oder Intellektuelle. Während die ersten beiden durch die neuen Rechten instrumentalisiert werden, sind letztere durch die Kritik an den kulturellen Milieus der Großstädte ins Zentrum der Rhetorik von links und von rechts gerückt.
Das von Ranan herausgegebene Buch ist in diesen Zeiten, wo weltweit Populisten Wahlerfolge verbuchen, ein wichtiges Werk, welches hilft, deren Rhetorik besser zu verstehen und Implikationen für den eigenen Sprachgebrauch abzuleiten. Ranan resümiert, dass es Propaganda und die Falschinterpretation von Begriffen in der gesamten politischen Geschichte der vergangenen hundert Jahre gegeben habe, aber "dass heute Wahrheiten als Fake News diffamiert werden". Und dass das beunruhigend und das grundlegende Problem unserer Zeit sei. Sein Kompendium hilft dabei, die Diskurse hinter der Sprache zu verstehen. Damit orientiert er sich auch an seinen Vorbildern, die er mehrfach zitiert. Beispielsweise George Orwell, der 1946 eine ähnliche "Krise der Sprache" attestierte, die verantwortlich für die Zerfallserscheinungen der Demokratie sei, und als einzige Lösung dafür einen reflektierten Sprachgebrauch vorschlug - "man sollte begreifen, dass das gegenwärtige politische Chaos mit dem Zerfall der Sprache zusammenhängt".
KEVIN HANSCHKE
David Ranan: "Sprachgewalt. Missbrauchte Wörter und andere politische Kampfbegriffe".
J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2021. 384 S., 26,- [Euro].
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