besaß, das seine Texte aus dem gefälligen Gros der deutschsprachigen Literatur schroff herausragen und dadurch unzugänglich wirken lässt.
Den Stoff musste er nicht lange suchen. Hilbigs Leben ist ein eindrucksvolles Zeugnis der deutsch-deutschen Teilung, und die Protagonisten seiner Romane und Erzählungen sind alle gespalten; am bekanntesten diesbezüglich ist das Ich aus "Ich" (1993), das als Lyriker für die Staatssicherheit spitzelt. Nicht zu verwechseln mit dem Verfasser! Hilbig hatte es schwer in der DDR, obwohl er als Arbeiterdichter gelten konnte - kein Studium, Dreherlehre, später Heizer, daneben immer schreibend. Doch die Veröffentlichung von "Abwesenheit" wurde abgelehnt, und als das Buch dann in Westdeutschland erschien, gab es für Hilbig, der sich da gerade entschlossen hatte, als freier Schriftsteller sein Glück zu versuchen, in der DDR keine Zukunft mehr. Nur der Prosaband "Stimme Stimme" wurde 1983 dort verlegt, mit gut sichtbaren Zensureingriffen; 1985 ging Hilbig in den Westen.
Wenn nun ein schmaler Band mit bislang unveröffentlichten Texten aus dem Nachlass erscheint, ist das eine kleine Sensation, zumal darunter eine fast dreißig Seiten lange Erzählung namens "Sphinx" ist, die 1983 geschrieben wurde, also noch in der DDR. Sie weist eine geradezu prototypische Hilbig-Konstellation auf, und man kann ihr zudem atmosphärisch die tiefe Prägung durch Kafka ablesen: Der Ich-Erzähler besucht einen Bekannten, der aber sofort nach der Begrüßung seinerseits aufbricht und den Gast in seiner Klaustrophobie erzeugenden Wohnung zurücklässt. Beim Warten auf die Rückkehr des Bekannten erweist sich der Erzähler als dessen Schattenmann, der der eigentliche Lenker des Lebens des anderen ist, und die fremde Wohnung wird zum Spiegelbild des Charakters des Ich-Erzählers: "verwobene Doppelbilder, undurchsichtige Unsichtbarkeiten hinter durchsichtigen Sichtbarkeiten". Es ist eine Existenz zwischen Wachen und Traum, stets im Hader mit der Welt, ein Intensitätserlebnis, wie man es beim Lesen selten hat.
Kleine Fragmente, wohl alle nach der Übersiedelung in den Westen entstanden, runden den Band zusammen mit einem klugen Nachwort von Michael Opitz ab. Erschienen ist er nicht bei S. Fischer; der große Verlag hat einem kleinen aus Leipzig großzügig diese Preziose überlassen. Wolfgang Hilbig, der in Leipzig gelebt hat, hätte diese publizistische Heimkehr geschätzt.
ANDREAS PLATTHAUS
Wolfgang Hilbig: "Sphinx". Texte aus dem Nachlass.
Hrsg. von Michael Opitz. Connewitzer Verlagsbuchhandlung, Leipzig 2019. 84 S., 6 Abb., br., 13,- [Euro].
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