Publikum.
Ullrich nimmt einen mehrfachen Wandel der Kunstwelt in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren wahr, der nicht nur die Künstler betrifft, sondern auch die Kunstmärkte und die Rolle der Kunstkritik umfasst. Zentrale Figur ist dabei der Siegerkünstler, der als Global Player die Nachfrage extrem reicher Kunden befriedigt, neue Produktionsformen nutzt und manchmal Themen der politischen Debatte aufgreift. Anders als seine Vorgänger in der Avantgarde will er nicht Opposition zur Gesellschaft sein oder danach streben, diese zu verändern. Stattdessen zeigt er ein grundsätzliches Einverständnis mit den herrschenden Bedingungen und findet seine Klientel unter den Reichen und Erfolgreichen - eben den Siegern der Gesellschaft.
Weil sie deren ästhetische Bedürfnisse bedient, greifen die Reichen zu der besonders teuren Kunst und machen die Künstler selbst zu ökonomischen Siegern. Käufer wie Verkäufer ähneln dabei dem Typus des Unternehmers und finden in der Öffentlichkeit wegen der spektakulär hohen Preise staunenden Anklang. Stärkste Erhabenheitseffekte knüpfen sich an Trash-Ästhetik, die "eigentlich ein Fall für den Restaurator oder den Müll wäre".
Der Wiener Kunstkritiker Matthias Dusini, seinerseits trashig in ein "Loser"-T-Shirt gewandet, meinte da einen Ton der Empörung und eine moralische Verurteilung von Seiten Ullrichs zu hören. Ullrich erwiderte differenziert: Einerseits gab er ein Missbehagen zu, da das Besondere der Kunst gegenüber Designern oder Herstellern von Luxusprodukten verlorengehe. Der Typus Künstler mit seinem Spleen, er wäre anders als der Rest der Gesellschaft, sei bedroht. Auch empfinde er die Siegerkunst als "kalt". Zugleich gestand Ullrich eine Faszination durch einen Bereich zu, der derzeit solche Marktereignisse erzeugt. Dass es sich dabei nur um eine vorübergehende Erscheinung handeln könne, hörten viele im Publikum mit Erleichterung.
Inakzeptabel wird der Habitus des Siegerkünstlers dort, wo dieser versucht, Kritik und Öffentlichkeit zu kontrollieren. Geschickt inszeniert Ullrich denn auch in seinem Buch die Untersagungen, bestimmte Bilder abzudrucken, die ihm als ein rechtspolitischer Missbrauch des Urheberrechts erschienen, mit grauen Flächen. Denn Siegerkünstler sind gewohnt, dass in Katalogen prächtige Texte über sie geschrieben werden und sie selbst in der Postproduktion massiven Einfluss auf die Rezeption ihrer Werke nehmen. Ullrich meinte dies auch als eine Kritik an der eigenen Profession. Bei Jeff Koons formuliere die Kritik nur Dinge zu seinen Werken, die er selbst schon vorher gesagt habe: "Im Grunde hat er die Texte schon vorgeschrieben." Ob Ullrich das doppelbödig normative Element seines Verbs bewusst war?
Nach seiner eigenen Haltung gefragt, empfahl Ullrich der Kunstkritik, dagegen anzuschreiben und den Perspektiven von Sammlern und Siegerkünstlern, deren vornehmstes Anliegen darin bestehe, eine Marke zu werden, nicht naiv auf den Leim zu gehen. Die Künstler wiederum müssten ihre Autonomie und Freiheit reflektieren - was gelungene Auftragsverhältnisse, in denen man sich infolge von Differenzen gegenseitig steigert, nicht ausschließe. Auch die Universität bekam ihr Fett ab: Die Kunstwissenschaft unterrichte derzeit nach einem Kanon, der zu ökonomisch bestimmt sei. Dafür hatte Ullrich dann noch weniger Verständnis als für jene "Siegerkritik", die er in manchen journalistischen Hochglanzbeilagen lokalisierte: Dort schrieben irritierenderweise Sammler, deren Autorität darauf gründe, dass sie ein erhebliches finanzielles Opfer gebracht hätten.
Das Publikum adaptierte die Sprachregelungen Ullrichs ironisch und pöbelte beim Auseinandergehen befreundete Kunsthändler mit Schmäh als "Siegergaleristen" an, was beide Seiten zum Gelächter zwang. An diesem Spiel teilzuhaben ließe sich mit etwas Granteln schon aushalten.
MILOS VEC
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