Perspektive anzubieten haben. Das ist in "Selam Berlin", dem Erstlingsroman der 1965 geborenen Yadé Kara, der Fall.
Hasan Kazan, der deutsch-türkische Ich-Erzähler des Buchs, ist in Berlin-Kreuzberg geboren und bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr dort aufgewachsen. Dann geht die Mutter mit ihm und seinem Bruder zurück nach Istanbul, wo die Jungen die deutsche Schule besuchen, während der Vater seinen Hauptwohnsitz in Berlin behält und dort ein Reisebüro betreibt. Die Familie ist nur in den Ferien vereint. Hasans Jugend ist vom Pendeln zwischen den beiden Großstädten geprägt. Zu Beginn der Handlung ist er neunzehn und erfährt aus dem Fernsehen von der Maueröffnung. Er beschließt, daß er schnellstens nach Berlin muß, und begibt sich mit dem titelgebenden Gruß auf den Lippen in seine Geburtsstadt. Dort läßt er sich vom Strudel der Wendeereignisse treiben, verliebt sich und gerät unversehens in die Filmbranche. Seine Stimmung schwankt ständig zwischen Enthusiasmus und Ernüchterung. Er ahnt freilich nicht, daß der Fall der Mauer auch für seine Familie eine unerwartete Wende mit sich bringt.
Kennzeichnend für das Buch ist eine mehrfach gebrochene Sichtweise: Zum einen ist Hasan zwar ein waschechter Berliner, hat aber durch seine familiäre Herkunft und Lebensgeschichte doch eine spezifische Wahrnehmung, die etwa durch ständige Vergleiche Berlins mit Istanbul geprägt ist. Zum anderen hat die Autorin selbst einen ausgesprochen ironischen Blick auf ihren männlichen jugendlichen Helden.
Vor allem für die wachsende, mit Namen wie Feridun Zaimoglu oder Emine Sevgi Özdamar verbundene Literatur, die die Erfahrungen in Deutschland aufgewachsener oder seit langem hier lebender Türken thematisiert, ist Karas Debüt eine Bereicherung. Zudem finden sich in ihm Elemente der Popliteratur, so eine Vorliebe für das häufige Nennen von Markennamen und eine oft flapsige, am Alltagsreden orientierte Sprache: "Hier war riiichtig was los. Ey man, ich sag's euch, hier war Action, hier war Revolution, hier war ein Taifun losgebrochen." Auf diese Weise soll wohl eine Mischung zwischen deutsch-türkischem Jugendslang und Holden-Caulfield-Touch erzeugt werden. Das allerdings wirkt oft ziemlich aufgesetzt. Doch das Vergnügen an dem Buch wird von der Neigung der Autorin zu Übertreibungen - nicht nur die Sprache, auch die Konstruktion betreffend - nicht entscheidend getrübt.
HARDY REICH
Yadé Kara: "Selam Berlin". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 2003. 382 S., geb., 19,90 [Euro].
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