mit der Geschichte der Wirtschaftstheorie gibt es eine Menge, doch an einem scheint es den Klassikern unter den Ökonomen zu mangeln: an Unterhaltungswert. Diese Feststellung war es wohl, die den Campus Verlag veranlaßt hat, dem Buch von Paul Strathern den wenig glücklichen Untertitel "Die genialsten Wirtschaftstheorien und ihre verrückten Erfinder" zu verleihen. Der englischsprachige Titel "A brief history of economic genius" wird sowohl dem Buch als auch seinen Protagonisten gerechter.
Denn als genial mag man die von Strathern porträtierten Ökonomen titulieren, doch will man sie wirklich als verrückt bezeichnen? Sicher, das Buch verrät einige amüsante Grillen prominenter Denker, angefangen vom Wunsch Jeremy Benthams, nach seinem Tode aufrecht in einem Glaskasten sitzend für die Nachwelt konserviert zu werden, bis hin zu der Anekdote, daß Adam Smith eines Sonntagmorgens im Morgenmantel durch die Straßen einer englischen Kleinstadt geirrt sei - doch ist das schon "verrückt"?
Außerdem ist eine solch reißerische Aufmachung völlig unnötig: Das Buch bietet einen amüsanten, flott geschriebenen Parforce-Ritt durch die Geschichte der ökonomischen Theorie. Neben den großen Namen der Zunft - Smith, Ricardo, Marx, Keynes und von Neumann - porträtiert Strathern auch einige Denker, die dem breiteren Publikum unbekannt sein dürften, die aber die ökonomische Theorie erheblich bereichert haben.
Die Idee, wirtschaftswissenschaftliche Theorien über die Biographie ihrer Väter, ihre Zeit und auch ihre persönlichen Schwächen zu transportieren, hat den Charme, daß die menschliche Komponente bei vielen Lesern mehr Interesse wecken dürfte und geeignet ist, oft staubtrocken klingende Theorien gefälliger zu präsentieren. Das gelingt Strathern: Er legt in gefälliger Weise Mosaiksteinchen neben Mosaiksteinchen, und so entsteht ein Bild vom langen Weg der Wirtschaftswissenschaften, von den ersten Ansätzen einer doppelten Buchhaltung über die Moralphilosophie hin zu den großen klassischen Denkern, von den Anfängen der Nationalökonomie als eigenständige Disziplin bis zu den theoretisch eleganten und komplexen Ideenkonstrukten der Spieltheorie - anregend, amüsant und lehrreich zugleich.
Doch der menschliche Hintergrund der Werke großer Denker taugt nicht nur zur Verkaufsförderung: Wer die Biographie eines großen Geistes kennt, wer Zeit und Zeitgenossen, historische und persönliche Rahmenbedingungen kennt, unter denen sein Werk erstanden ist, der weiß dieses auch besser zu würdigen und einzuordnen - mit allen Schwächen und Stärken. Das gilt für die Schwächen vermutlich noch mehr als für die Stärken: Manche Theorie, die aus heutiger Perspektive abwegig klingt und von der Geschichte in der Zwischenzeit widerlegt worden ist, läßt sich noch verstehen, wenn man die Umstände ihrer Entstehung berücksichtigt. Das eröffnet auch die Möglichkeit, aus der Geschichte zu lernen: In einigen hundert Jahren werden etliche unserer Ideen, Vorstellungen und Ideologien in einem ganz anderen Licht gesehen werden. Das wird nicht nur so sein, weil die Wissenschaft weitere Fortschritte macht, sondern auch, weil sich neue Erfahrungen ansammeln und weil erst dann die nötige Distanz zu den Umständen existiert, unter denen diese Theorien entstanden sind - eine Distanz, die zeitgenössischen Denkern fehlt und fehlen muß.
Exemplarisch dafür sind die Ausführungen Stratherns zu Robert Malthus: Zu einer Zeit, in der Manchester "verrückt war nach Dampfmaschinen", Städte wie Pilze aus dem Boden schossen und sich die Straßen mit einer neuen Unterschicht bevölkerten, hätte es schon eines extrem flexiblen Vorstellungsvermögens bedurft, um zu vermuten, daß wir rund 200 Jahre später von einer Bevölkerungsimplosion sprechen und nicht von einer Überbevölkerung mit dramatischen Konsequenzen, wie Malthus prognostizierte. Doch nur weil wir heute meinen, es besser zu wissen, gibt es aber keinen Grund, Malthus Ideen geringzuschätzen (oder ihn als "verrückt" zu bezeichnen). Vielmehr zeigt uns sein Beispiel ebenso wie andere Kapitel des Buches, daß die Fesseln der Gegenwart selbst die Urteilskraft des größten Geistes beeinträchtigen und daß auch die brillantesten Köpfe nicht immer alle Entwicklungen vorhersehen können, von denen es Jahre später heißen wird, man sie hätte wissen können.
Diese Lehre können alle Globalisierungsapokalyptiker, Technologiepessimisten und Berufsideologen aus dem Studium des Buches mit nach Hause nehmen, falls denn ihr Geist dafür offen ist: Ökonomie ist zu allen Zeiten das immer gleiche Spiel von Versuch, Irrtum und Lernen. Und auch aus der Erkenntnis unserer Irrtümer erwachsen uns neue Möglichkeiten, wenn wir nur offen dafür sind. Das macht die angeblich trostlose Disziplin so aufregend und menschlich zugleich.
HANNO BECK
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