der Sahara nahe der südlibyschen Stadt Gadames geboren. Seiner Herkunft nach ist er ein Tuareg. Nicht das Arabische, das er schreibt, sondern einer der Tuaregdialekte ist seine Muttersprache. In den siebziger Jahren ging er nach Moskau, wo er am Gorki-Institut Literatur studierte. Er arbeitete in Moskau und Warschau als Journalist und Angestellter der Kulturabteilung der libyschen Botschaft. Seit 1993 lebt er zurückgezogen in der Schweiz.
Al-Konis Werk gründet in einer grenzenlosen und unbedingten Hingabe an die Natur. Alles Menschliche, Künstliche, Gemachte hingegen, ebenso alles Gesellschaftliche und auf Konventionen Beruhende wird mit großer Geste und einigem Pathos verdammt. Während üblicherweise die Natur Metapher, Symbol oder Hilfsmittel ist, um das Menschliche zu beschreiben, dient ihm das Menschliche zur Beschreibung der Natur. In dem Abschnitt "Jahreszeiten" erklärt al-Koni die winterliche Verwandlung der Natur so: "Der Winter ist ein heiliger Ort, den die Bäume nur nackt betreten dürfen." Zwei Aphorismen weiter wird die Stoßrichtung präzisiert: "Der Winter weigert sich, in seinem Heiligtum den Menschen nackt zu empfangen, doch die Bäume empfängt er darin nur nackt." Die Anthropomorphisierung der Natur, die dazu dient, sie verständlicher zu machen, führt in letzter Konsequenz zum Ausschluß des Menschen aus der Natur. Bei der Wahl zwischen Gesellschaft und Natur herrscht daher ein unversöhnliches "Entweder-Oder": "Die Natur gibt sich uns nur, wenn wir uns ihr geben." Die Feindschaft zwischen Mensch und Natur kann nur überwunden werden, wenn der Mensch der "Welt" entsagt, das große Thema auch in den Romanen des Libyers.
Die Aphorismen beziehen sich nicht ausschließlich auf die Wüste, immer jedoch auf die extreme Naturerfahrung, die die Sahara gewährt. Wenn man die Notizen liest, versteht man, warum die monotheistischen Religionen in der Nähe von Wüsten entstanden sind. Die Forderungen, die diese Umgebung stellt, sind absolut. Und wenn es heißt: "Die Fähigkeit zum Amüsement bringt uns der Welt näher; die Unfähigkeit zum Amüsement bringt uns der Natur näher", glaubt man, einen Schüler Augustins zu lesen (und in der Tat beruft sich al-Koni, der Nordafrikaner, auf den Bischof aus Nordafrika). Die Natur rückt an die Stelle des monotheistischen Gottes und übernimmt einen Großteil der Symbolik, die sich an ihn angelagert hat, inklusive Straf- und Opferritualen. Das aphoristische Werk al-Konis ist auch eine Quintessenz aus seinem erzählerischen Werk. Das Ringen gegen die Verführungen der Zivilisation, wie es exemplarisch in "Die Magier" gestaltet ist, stellt sich in den Aphorismen als ein Ringen um den Glauben, um die Liebe eines Gottes namens Natur dar. Die Vermittlungsinstanz zwischen Mensch und diesem Gott ist, jedenfalls in den Romanen, das Tier. In "Goldstaub" verläßt der Nomade seine Familie aus Liebe zu einem Kamel. In "Blutender Stein" ist die Welt so lange intakt, wie die Symbiose zwischen Tier und Mensch gewahrt bleibt. Und in "Die Magier" löscht ein Heer von Dschinnen am Ende eine ganze Wüstenstadt aus, weil die Bewohner von der überlieferten Lebensart in der Sahara abgefallen sind.
Sicherlich fehlt diesen Aphorismen der epische Resonanzraum, der ihre scheinbare Beliebigkeit aufhebt und dem Naturdenken al-Konis seine Strahlkraft verleiht. Für sich betrachtet, eignen sie sich sowohl als Vorgeschmack auf die großen Werke wie umgekehrt auch als stichwortartige Deutungshilfe für diese. Die Wüste ist dort überraschend selten ein Thema. Aber Haß gegen die Phänomene der Moderne, der sich in der arabischen Literatur häufiger findet, ist auch von al-Koni gestaltet, wenngleich vor ungewöhnlichem Hintergrund.
Die beigegebenen Fotos von Alain Sèbe sind wunderschön. Doch die Schnittmenge zwischen der Wüste Alain Sèbes und derjenigen Ibrahim al-Konis ist viel kleiner, als es dieses Buch, das beide in schöner Eintracht nebeneinander darbietet, suggeriert. Wenn die Wüste, wie al-Koni immer wieder andeutet, auch von atemberaubender Schönheit sein kann, so ist, einen Sinn dafür zu entwickelten, eine entbehrungsreiche, asketische Übung, nichts, was einem in den Schoß fallen könnte wie diese Fotos. Denn vor allem ist die Wüste bei al-Koni erbarmungslos und unmenschlich. Und hinter dieser Unmenschlichkeit ist sie fragil und verletzlich wie die Stille, die in ihr herrscht - einer der größten Genüsse, die sie zu bieten hat. Von all dem zeigen die Fotos nichts. Vielleicht sind sie, gerade deswegen, nur um so schöner.
STEFAN WEIDNER
Ibrahim al-Koni: "Schlafloses Auge". Aphorismen aus der Sahara. Ausgewählt und aus dem Arabischen übersetzt von Hartmut Fähndrich. Mit 32 Farbfotos von Alain Sèbe. Lenos Verlag, Basel 2001. 144 S., geb., 18,90
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