stellvertretenden Chefredakteur der Wochenzeitung "Forum" auf. Hatte es auch schon vorher gelegentlich Schwierigkeiten mit der - seiner! - Partei gegeben, so waren sie dieses Mal ernster. Er wurde zu einer subalternen Arbeit in der "VVB Plast- und Elastverarbeitung" degradiert, was sich freilich eher zum Schaden der Partei auswirkte: Die Realität des Industriebetriebes veranlaßte ihn, über das Verhältnis zwischen sozialistischer Wirklichkeit und orthodox-marxistischer Lehre nachzudenken, aber durchaus von einem allerdings individuellen marxistischen Ansatz aus. Mit der so entstandenen Arbeit wollte er promovieren, die Staatssicherheit verhinderte das. Das Buch erschien - konspirativ über die Grenze gebracht - als "Die Alternative" im Westen, machte Sensation, Bahro wurde verhaftet, verurteilt und kam nach Bautzen II.
Nach verhältnismäßig kurzer Haft wird er 1979 in den Westen entlassen und ist eine Zeitlang Liebling der vor allem linken oder linksliberalen Medien. Nun stürmt auf diesen glänzenden Kopf, der bisher in marxistischen Kategorien befangen gewesen ist, die Realität des pluralistischen westlichen politischen und intellektuellen Lebens ein; man hat das Gefühl, daß er - fast - alles durchprobiert: zeitweilige und prominente Mitgliedschaft bei den Grünen, Friedensbewegung, ja sogar mit Bhagwan wird ein Experiment angestellt; er versucht die individuelle und schon stark sektiererisch geprägte Lebensform einer ökospirituellen Gemeinschaft in lieblichen westdeutschen Gefilden zu praktizieren, da bricht rechtzeitig mit deren Scheitern die DDR zusammen. Er kehrt nach Berlin zurück, er hält - Doktor und Professor inzwischen - anfangs höchst erfolgreiche öffentliche Vorlesungen über Sozialökologie an seiner alten Humboldt-Universität, schließlich gelingt es ihm mit großen Schwierigkeiten, ein wenn auch sehr klein zugeschnittenes Institut für Sozialökologie zu bekommen; 1997 stirbt er an Krebs.
Rudolf Bahro muß wegen seiner stark emotional geprägten Intellektualität ein bezwingender Mensch gewesen sein, gleichzeitig muß er ebendeshalb auch heftige Abwehrreaktionen provoziert haben. Ihm ist wohl die Weltanschauungsdiktatur der DDR auf eine ganz spezifische Weise zum Verhängnis geworden. Anfangs waren es gerade die allerhöchsten Menschheitsansprüche, die der Kommunismus für sich reklamierte, die ihn anzogen, die aber bald in ihrer diktatorisch-institutionalisierten Form seiner großen - auch künstlerischen - Begabung im Wege standen. Gleichwohl bewegte er sich weiter in ihrem Bezugssystem und wurde so einer der nicht wenigen Intellektuellen, die wegen ihrer Selbständigkeit des Denkens mit dem Marxismus in seiner verstaatlichten oder "stillgestellten" (Adorno) Form zusammenstießen. Physisch und geistig eingesperrt, stieß sein Denken unablässig an die ihm gesetzten und teilweise von ihm selbst verinnerlichten Grenzen, die aber seiner tatsächlichen Begabung keine angemessene Betätigung gewährten. Von befreundeter Seite wurde gesagt, Bahro habe in den frühen achtziger Jahren "wie ein ausgetrockneter Schwamm" gewirkt, der "alle intellektuellen und emotionalen Anreize aufgenommen" habe, und so dürfte sein erratischer Weg nach 1979 zu erklären sein. Insofern stellte er ein ganz eigenes Opfer der geistigen Gängelung dar, die der Staatsmarxismus seinen Untertanen auferlegt hatte.
Das Buch ist von zwei Autoren geschrieben, die auf weite Strecken Weggefährten Bahros und mit ihm befreundet waren. Trotzdem stellt es keine unkritische Lobhudelei dar, wie schon das eingangs erwähnte Zitat von seiner frühen Engstirnigkeit zeigen mag. Zwar sind die Partien über Bahro im Westen interessant genug, die zeigen, welch wechselnden Einflüssen der "ausgetrocknete Schwamm" Bahro sich hingab. Da sie jedoch ein politisches Ambiente beschreiben, das auch so großenteils nicht unbekannt ist, ist es vielleicht sachgerechter, sich eher auf die letzte Zeit in der DDR zu konzentrieren, die immerhin einige Besonderheiten aufweist. Nichts Besonderes ist, daß die Staatssicherheit laut einer nach der Revolution von 1989 aufgefundenen Konzeption in ihren Vernehmungen das Ziel verfolgte, den Untersuchungshäftling Bahro zu "brechen", ebenso üblich war die dabei vorgesehene Doppeltaktik, ihn einerseits zu demoralisieren, ihn andererseits hart anzufassen. Ein "Rätsel" freilich ist es nach wie vor, warum das MfS so lange, nämlich drei Jahre, mit der Festnahme gewartet hatte.
Bahro wurde nämlich jahrelang observiert, und gleichwohl wurde ihm die Möglichkeit gegeben, an seinem Buch zu arbeiten, es zu beenden, zahlreiche Exemplare davon anzufertigen, sie nicht nur - konspirativ, aber nicht unbemerkt - in der DDR zu verteilen, sondern auch in den Westen zu bringen. Den Beginn machte der Verrat seiner geschiedenen Ehefrau, die dem ihr zufällig bekannt gewordenen Markus Wolf Mitteilung von dem Manuskript machte. Zwischendurch beschaffte sich die Stasi das Manuskript, ließ es begutachten, tat aber immer noch nichts; zum Schluß konnte Bahro sogar "Spiegel"-Redakteure empfangen und Fernsehaufnahmen machen lassen (die in Bahros Wohnung heimlich mitgeschnitten wurden). Obwohl die Staatssicherheit alles im Griff hatte, wurde Bahro erst am 23. August 1977 verhaftet, nachdem am Vortage die "Spiegel"-Nummer erschienen war. Die Entscheidung zur Verhaftung scheint allein zwischen "den beiden Erichs" - Honecker und Mielke - gefallen zu sein. Dem entsprachen die Verhöre, die "in nichts der geläufigen Vorstellung ähneln, die man von einem ,Stasi-Verhör' hat". Der Prozeß gegen Bahro - mit Gregor Gysi als vorzüglichem Verteidiger - hatte direkt rechtsstaatliche Züge, und in Bautzen wurde er fast zuvorkommend behandelt und wußte selber, "daß er kein gewöhnlicher Häftling ist". Man fragt sich nach wie vor, wie das sein konnte.
Eine amüsante Besonderheit des Buches selber aber ist es schließlich, daß gelegentlich kleine giftige Spitzen eingestreut werden. So wird berichtet, daß auch Christa Wolf seinerzeit das Manuskript bekam, "wo es noch heute liegt", oder so wird bei einem Anti-Bahro-Gutachten für die Staatssicherheit gemeint, man "nehme nicht an, daß Professor Harry Maier" bei seinen Bewerbungen im Westen "diese Stasi-Zuarbeit in seinem Schriftenverzeichnis berücksichtigt hat". Nicht immer kennt man die wirklichen Namen solcher Gutachter, und deshalb ergeht in einem solchen Fall der vorsichtige Appell: "Vielleicht gibt sich der Verfasser auch einmal zu erkennen." Daher auch an dieser Stelle der Hinweis: Damit der Betreffende weiß, um welches Gutachten es sich handelt - es sei "durchaus als mittelmäßige Rezension in einer westlichen linken Zeitschrift denkbar" -, sei hier schnell mitgeteilt, daß von ihm auf den Seiten 168 folgende die Rede ist.
WOLFGANG SCHULLER
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