man kann es kaum fassen, wenn man die Bilder heute sieht: Bruce Springsteen auf einer Bühne in Weißensee, 19. Juli 1988, und davor die Jugend der DDR, die ein Jahr später helfen wird, ihren Staat in die Knie zu zwingen und die Mauer einzureißen, jetzt aber erst mal feiert und singt und von einem anderen Leben träumt.
25 Jahre ist das jetzt also her. Der MDR hat kürzlich in einer Dokumentation auch an die anderen Konzerte erinnert, die damals diesseits und jenseits der Mauer gegeben wurden. Es war ein kurzlebiges friedliches Wettrüsten mit Popstars, hatte aber dramatisch begonnen, Pfingsten 1987, als vor dem Reichstag erst David Bowie, dann Eurythmics und schließlich Genesis auftraten, während sich hinter der Grenze Tausende Ost-Berliner versammelten, um zuzuhören. Abend für Abend kamen mehr, wurden ihre Rufe lauter, "Die Mauer muss weg!", schrien die Leute. Volkspolizei und Staatssicherheit verhafteten, was sie nur konnten.
Aber weil die Westpresse zusah und die Bilder der Übergriffe um die Welt gingen und weil für den Sommer 1988 schon die nächsten Konzerte vor dem Reichstag abgemacht waren, mit Pink Floyd und Michael Jackson, entschloss sich der Staatsapparat, selbst Konzerte mit Stars aus dem Westen zu veranstalten. Und so kamen James Brown und Bryan Adams und Joe Cocker und sogar Depeche Mode in die DDR. Und Springsteen auf die Radrennbahn nach Weißensee.
Ein Buch erzählt jetzt davon, "Rocking the Wall", geschrieben vom Reuters-Korrespondenten Erik Kirschbaum, der in Berlin lebt und Interviews mit Leuten geführt hat, die dabei waren, als der Boss "Born in the U.S.A.", "Born to Run" und "Badlands" spielte - lauter Hymnen des Aufbruchs und der Frustration über die Verhältnisse, die von Hunderttausenden mitgebrüllt wurden, die nicht in New Jersey, sondern in Neubrandenburg groß geworden waren.
Springsteen wollte unbedingt in Ost-Berlin spielen und verzichtete dafür sogar auf Gage. In letzter Sekunde wäre sein Auftritt trotzdem fast gescheitert. Denn die Ost-Berliner Organisatoren von der FDJ hatten das Ganze zur Solidaritätsaktion für Nicaragua erklärt, um es ganz oben durchsetzen zu können. Springsteen wollte da nicht mitmachen, also wurden die Banner an der Bühne wieder abgerissen. So einfach ging das, wenn man nur wollte. Nur auf den 160 000 Tickets stand noch Nicaragua. Aber Tickets brauchte man sowieso nicht mehr, weil irgendwann die Tore aufgemacht werden mussten, so groß war der Ansturm - man kennt das von der Bösebrücke, im November darauf. Wenn sie doch nach dem letzten Ton nur alle zum Brandenburger Tor marschiert wären, statt nach Hause zu gehen! Es gibt Leute, die dabei waren und sich bis heute deswegen martern.
24 Jahre später steht Bruce Springsteen wieder auf einer Berliner Bühne, diesmal im Olympiastadion, und hält ein Plakat hoch, das ihm Fans hochgereicht haben, "Ost-Berlin 1988" steht darauf. "Manchmal spielst du eine Show", sagt Springsteen, "die für immer in dir bleiben wird, die mit dir lebt für den Rest deines Lebens. Ost-Berlin 1988 war ganz sicher eine davon."
Man kann die Szene in einer Dokumentation sehen, die am morgigen Montag in ausgewählten Kinos auf der ganzen Welt gleichzeitig ausgestrahlt wird, "Springsteen & I", produziert von Ridley Scott, ein Zusammenschnitt vieler kleiner Filme, die Fans gedreht haben über ihr Leben mit Bruce Springsteen: Mütter, Väter, Straßenmusiker, Truckfahrerinnen, Elvis-Imitatoren. Wie kaum ein Zweiter hat Bruce Springsteen die Gabe, Songs zu schreiben, die sich anfühlen, als sei man selbst mit ihnen gemeint, egal wo man lebt auf der Welt. "Hope, heart and perspective", sagt einer der Fans, das seien die Worte, die ihm zu seinem Idol einfielen. Es ist die emanzipatorische Formel der Popmusik.
TOBIAS RÜTHER
Erik Kirschbaum: "Rocking the Wall". Übersetzt von Thomas Krumenacker. Verlag Berlinica, 11,30 Euro. "Springsteen & I" läuft am Montag in ausgewählten Kinos, mehr unter www.springsteenandi.com
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