
Gebundenes Buch
Poesiealbum, Gedichte 1967-1990
Dichter aus jenem Land, mit Gedichten aus jener Zeit
Mitwirkender: Pieper, Katrin
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Nicht lieferbar
Produktdetails
- Verlag: Verlag Neues Leben
- Seitenzahl: 188
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 376g
- ISBN-13: 9783355014977
- ISBN-10: 3355014974
- Artikelnr.: 24346724
Herstellerkennzeichnung
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Mein Dörfchen, das heißt DDR
Verstaubtes aus dem Keller: Ein Rückblick auf das "Poesiealbum"
Da ist es wieder: das gute alte Poesiealbum. Nein, nicht das, in dem, mit Ausnahme des Vergissmeinnichts, aber einschließlich der Nelken, alle Blumen welken - das nicht. Gemeint ist das andere "Poesiealbum", das inzwischen zu einem begehrten Sammelobjekt geworden ist, nämlich die Lyrik-Heft-Reihe gleichen Namens, die in den Jahren 1967 bis 1990 im sagenhaften Leseland DDR erschien: Monat für Monat kam dort ein Heft im Umfang von zweiunddreißig Seiten und zum Preis von ganzen neunzig Pfennigen heraus. Sogar an Zeitungskiosken, sagt man, waren diese Heftchen erhältlich, und wer sie fein sammelte, wurde nach und nach mit
Verstaubtes aus dem Keller: Ein Rückblick auf das "Poesiealbum"
Da ist es wieder: das gute alte Poesiealbum. Nein, nicht das, in dem, mit Ausnahme des Vergissmeinnichts, aber einschließlich der Nelken, alle Blumen welken - das nicht. Gemeint ist das andere "Poesiealbum", das inzwischen zu einem begehrten Sammelobjekt geworden ist, nämlich die Lyrik-Heft-Reihe gleichen Namens, die in den Jahren 1967 bis 1990 im sagenhaften Leseland DDR erschien: Monat für Monat kam dort ein Heft im Umfang von zweiunddreißig Seiten und zum Preis von ganzen neunzig Pfennigen heraus. Sogar an Zeitungskiosken, sagt man, waren diese Heftchen erhältlich, und wer sie fein sammelte, wurde nach und nach mit
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Lyrikern aller Zeiten und Völker vertraut. 275 Nummern sind insgesamt erschienen, dann ging die Reihe mit der DDR unter. Schade drum!
Nun also, in Form einer Anthologie, ein Rückblick. Er richtet sich, wie der Untertitel bedeutungsvoll, aber inhaltsleer raunt, ausschließlich an die "Dichter aus jenem Land - mit Gedichten aus jener Zeit". "Jene" - das meint in nostalgischer Unschärfe die DDR. Mit nicht weniger als neunzig Heften waren DDR-Autoren in die Lyrik der Welt eingefügt worden, und 59 von ihnen sind nun mit durchschnittlich drei Gedichten in der Anthologie vertreten. Das beginnt mit Brecht ("Lob des Kommunismus") und endet mit Rainer Kirsch ("Ich hab noch vierzig Jahre, oder mehr"). Vielen, die Rang und Namen hatten in der Lyrik der DDR, begegnet man hier wieder: Fürnberg und Kuba, Johannes R. Becher und Georg Maurer, Hermlin und Arendt, Johannes Bobrowski und Fritz Rudolf Fries, Volker Braun und Karl Mickel, Kathrin Schmidt und Kerstin Hensel; sogar Günter Kunert und Reiner Kunze, die später in Ungnade fielen.
Denn ins DDR-Poesiealbum konnte sich seinerzeit nur eintragen, wer im einstigen FDJ-Verlag Neues Leben, der damals die Reihe (und jetzt die Anthologie) herausgab, als "zuverlässig" galt. Das hatte zur Folge, dass namhafte und bedeutende Lyriker der DDR wie Heinz Czechowski, Adolf Endler, Elke Erb, Franz Fühmann, Wolfgang Hilbig, Peter Huchel, Sarah Kirsch, Uwe Kolb, Heiner Müller, Bert Papenfuß-Gorek, Lutz Rathenow, Thomas Rosenlöcher, Rainer Schedlinksi und B. K. Tragelehn seinerzeit nicht ins "Poesiealbum" gelangten; sie fehlen dementsprechend nun auch in der rückblickenden Anthologie.
Es fehlen aber auch einige Autoren, die damals mit einem eigenen Heft in der Reihe des "Poesiealbums" vertreten waren, darunter nicht nur FDJ-Barden wie Bernd Rump oder Hans Brinkmann, sondern auch durchaus reputierliche Autoren wie Erich Weinert, Kristian Pech, Wilhelm Tkaczyk und sogar Richard Pietraß, der selbst längere Zeit - im Anschluss an Bernd Jentzsch - die Reihe "Poesiealbum" herausgegeben hatte. Warum fehlen sie? Und warum fehlen nicht stattdessen die unsäglichen Versifikationen beispielsweise eines Max Zimmering, des ersten Leiters des Johannes R. Becher-Literaturinstituts in Leipzig, oder diejenigen der Liedersänger, von Hartmut König etwa, der vorwurfsvoll den Revanchismus derer beklagt, die es sich immer noch oder schon wieder erlauben, eine polnische Stadt mit dem deutschen Namen Stettin zu benennen; oder von Reinhold Andert, der die DDR als sein Vaterland feiert: "Das ist das Land, wo die Fabriken uns gehören." Andererseits dichtet Ralph Grüneberger: "Das ist mein Land, hier bin ich / Eingekreist" - und an dieser Stelle findet sich die einzige Fußnote: "Grüneberger schreibt dazu", so lautet sie: ",Eingekreist' ist eine Konsequenz auf den Eingriff der Zensur. Tatsächlich stand dort ,Eingebuchtet.'
Mehr Kommentare und Erläuterungen dieser Art hätten der Sammlung gut getan; genau genommen ist sie ohne solche Kommentare nur schwer zu goutieren. Wie erklärt sich die Auswahl der Autoren und ihrer Texte im "Poesiealbum", wie funktionierte die Zensur und welche Zensurfälle gab es, auf welche aktuellen politischen und kulturpolitischen Ereignisse reagierte das "Poesiealbum", welche Verbindungen bestanden zwischen ihm und dem Schweriner Poetentreffen der FDJ, dem Leipziger Literaturinstitut, der Zeitschrift "Temperamente", der Schülergedichtsammlung "Offene Fenster", der Lyrik- und der "Singebewegung"? In solchen Kontexten erst ließe sich das "Poesiealbum" als ein dann allerdings überaus informatives, ja einzigartiges Dokument der realen Literaturverhältnisse in der DDR lesen. Denn die Qualität der Texte allein rechtfertigt nur in wenigen Fällen diesen Rückblick. Allzu viel Mittelmaß und Vordergründigkeit herrscht vor, zumal in den letzten Jahren des "Poesiealbums", als das Reservoir der vorzeigbaren Lyriker der DDR weitgehend erschöpft war.
Auswahl und Präsentation dieser Anthologie wecken also wenig Lust an dem Vorschlag, diese Retrospektive als einen "Auftakt zur Wiederaufnahme" des "Poesiealbums" zu verstehen. Sie bewirken eher das Gegenteil, und sie sind wohl auch eher berechnet auf Leser, die sich zurückträumen wollen in die alte, überschaubare, nestwarme DDR. Nichts ist bezeichnender für diese Tendenz der Anthologie als ihr Schutzumschlag, der auf der Rückseite, eingerahmt von den Grenzen des DDR-Staates, das Gedicht "Mein Dörfchen, das heißt DDR" von Peter Hacks zitiert. Dieses Gedicht hat zwar niemals im "Poesiealbum" gestanden, aber es bringt "jene" Mentalität der DDR-Bürger überdeutlich zum Ausdruck, die diesen Rückblick mehr herzig - ein Herz ziert die Vorderseite des Umschlags - als kritisch bestimmt: "Es gibt nichts Neues unterm Mond, / Nicht dieserseits der Mauer."
WULF SEGEBRECHT
"Poesiealbum. 1967-1990. Dichter aus jenem Land - mit Gedichten aus jener Zeit". Herausgegeben von Katrin Pieper. Verlag Neues Leben, Berlin 1999. 191 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nun also, in Form einer Anthologie, ein Rückblick. Er richtet sich, wie der Untertitel bedeutungsvoll, aber inhaltsleer raunt, ausschließlich an die "Dichter aus jenem Land - mit Gedichten aus jener Zeit". "Jene" - das meint in nostalgischer Unschärfe die DDR. Mit nicht weniger als neunzig Heften waren DDR-Autoren in die Lyrik der Welt eingefügt worden, und 59 von ihnen sind nun mit durchschnittlich drei Gedichten in der Anthologie vertreten. Das beginnt mit Brecht ("Lob des Kommunismus") und endet mit Rainer Kirsch ("Ich hab noch vierzig Jahre, oder mehr"). Vielen, die Rang und Namen hatten in der Lyrik der DDR, begegnet man hier wieder: Fürnberg und Kuba, Johannes R. Becher und Georg Maurer, Hermlin und Arendt, Johannes Bobrowski und Fritz Rudolf Fries, Volker Braun und Karl Mickel, Kathrin Schmidt und Kerstin Hensel; sogar Günter Kunert und Reiner Kunze, die später in Ungnade fielen.
Denn ins DDR-Poesiealbum konnte sich seinerzeit nur eintragen, wer im einstigen FDJ-Verlag Neues Leben, der damals die Reihe (und jetzt die Anthologie) herausgab, als "zuverlässig" galt. Das hatte zur Folge, dass namhafte und bedeutende Lyriker der DDR wie Heinz Czechowski, Adolf Endler, Elke Erb, Franz Fühmann, Wolfgang Hilbig, Peter Huchel, Sarah Kirsch, Uwe Kolb, Heiner Müller, Bert Papenfuß-Gorek, Lutz Rathenow, Thomas Rosenlöcher, Rainer Schedlinksi und B. K. Tragelehn seinerzeit nicht ins "Poesiealbum" gelangten; sie fehlen dementsprechend nun auch in der rückblickenden Anthologie.
Es fehlen aber auch einige Autoren, die damals mit einem eigenen Heft in der Reihe des "Poesiealbums" vertreten waren, darunter nicht nur FDJ-Barden wie Bernd Rump oder Hans Brinkmann, sondern auch durchaus reputierliche Autoren wie Erich Weinert, Kristian Pech, Wilhelm Tkaczyk und sogar Richard Pietraß, der selbst längere Zeit - im Anschluss an Bernd Jentzsch - die Reihe "Poesiealbum" herausgegeben hatte. Warum fehlen sie? Und warum fehlen nicht stattdessen die unsäglichen Versifikationen beispielsweise eines Max Zimmering, des ersten Leiters des Johannes R. Becher-Literaturinstituts in Leipzig, oder diejenigen der Liedersänger, von Hartmut König etwa, der vorwurfsvoll den Revanchismus derer beklagt, die es sich immer noch oder schon wieder erlauben, eine polnische Stadt mit dem deutschen Namen Stettin zu benennen; oder von Reinhold Andert, der die DDR als sein Vaterland feiert: "Das ist das Land, wo die Fabriken uns gehören." Andererseits dichtet Ralph Grüneberger: "Das ist mein Land, hier bin ich / Eingekreist" - und an dieser Stelle findet sich die einzige Fußnote: "Grüneberger schreibt dazu", so lautet sie: ",Eingekreist' ist eine Konsequenz auf den Eingriff der Zensur. Tatsächlich stand dort ,Eingebuchtet.'
Mehr Kommentare und Erläuterungen dieser Art hätten der Sammlung gut getan; genau genommen ist sie ohne solche Kommentare nur schwer zu goutieren. Wie erklärt sich die Auswahl der Autoren und ihrer Texte im "Poesiealbum", wie funktionierte die Zensur und welche Zensurfälle gab es, auf welche aktuellen politischen und kulturpolitischen Ereignisse reagierte das "Poesiealbum", welche Verbindungen bestanden zwischen ihm und dem Schweriner Poetentreffen der FDJ, dem Leipziger Literaturinstitut, der Zeitschrift "Temperamente", der Schülergedichtsammlung "Offene Fenster", der Lyrik- und der "Singebewegung"? In solchen Kontexten erst ließe sich das "Poesiealbum" als ein dann allerdings überaus informatives, ja einzigartiges Dokument der realen Literaturverhältnisse in der DDR lesen. Denn die Qualität der Texte allein rechtfertigt nur in wenigen Fällen diesen Rückblick. Allzu viel Mittelmaß und Vordergründigkeit herrscht vor, zumal in den letzten Jahren des "Poesiealbums", als das Reservoir der vorzeigbaren Lyriker der DDR weitgehend erschöpft war.
Auswahl und Präsentation dieser Anthologie wecken also wenig Lust an dem Vorschlag, diese Retrospektive als einen "Auftakt zur Wiederaufnahme" des "Poesiealbums" zu verstehen. Sie bewirken eher das Gegenteil, und sie sind wohl auch eher berechnet auf Leser, die sich zurückträumen wollen in die alte, überschaubare, nestwarme DDR. Nichts ist bezeichnender für diese Tendenz der Anthologie als ihr Schutzumschlag, der auf der Rückseite, eingerahmt von den Grenzen des DDR-Staates, das Gedicht "Mein Dörfchen, das heißt DDR" von Peter Hacks zitiert. Dieses Gedicht hat zwar niemals im "Poesiealbum" gestanden, aber es bringt "jene" Mentalität der DDR-Bürger überdeutlich zum Ausdruck, die diesen Rückblick mehr herzig - ein Herz ziert die Vorderseite des Umschlags - als kritisch bestimmt: "Es gibt nichts Neues unterm Mond, / Nicht dieserseits der Mauer."
WULF SEGEBRECHT
"Poesiealbum. 1967-1990. Dichter aus jenem Land - mit Gedichten aus jener Zeit". Herausgegeben von Katrin Pieper. Verlag Neues Leben, Berlin 1999. 191 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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