Palais mit Badehaus und Hafen baute.
Diese Episode bildet den stofflichen Kern von Liane Dirks neuem Roman. Die Handlung spielt Silvester 1929. Der reiche Unternehmer Max Ulrich Bernheim gibt ein Fest unter dem Motto "Die goldene Barke". Symbolträchtig soll ein Jahrzehnt des suchenden Überschwangs in verschwenderischem Prunk leichthin verabschiedet werden. "Das Glück, das Leben, die Kunst - ein Spiel." Am anderen Ufer haust die Baronin in einer aufgelassenen Fabrik und beäugt die Vergänge auf ihrer Insel verbittert als Zerstörung aristokratischer Kultur. Oberhalb des Sees befindet sich die Irrenanstalt des esoterisch angehauchten Psychiaters Konrad Nemeczi, Halbbruder Bernheims. Er praktiziert ein Konzept der Teilnahme und der offenen Tür. Für das Dreikönigstreffen der Psychiatrischen Gesellschaft schreibt er an einem Vortrag über "Die Seele im Kontinuum der Zeit", mit dem er die Fachwelt erstaunen will: "Er wollte nicht reiche Neurotiker analysieren, er wollte wissen, was der Wahnsinn ist. Der Wahnsinn und seine Bedeutung für das Begreifen des Lebens."
Liane Dirks stattet den so umrissenen Erzählraum verschwenderisch und anspielungsreich mit ästhetischen und kultischen Objekten aus und bevölkert die Szenerie mit einem Panoptikum von teils historischen Personen nachgebildeten Typen. Die Baronin wird beim Namen genannt, den Brüdern verleiht die Autorin Züge, die auf die Familiengeschichte von Aby und Max Warburg verweisen. Mit dem Hinweis auf Warburgs Vortrag zum Schlangenritual der Hopi, den er 1923 in einer Nervenklinik als Zeichen seiner Genesung von manisch-depressiven Zuständen hielt, ist der Bezug zum psychiatriegeschichtlichen und kultischen Hintergrund des Romans hergestellt. Es geht um die Frage, was der Mensch mit seinen wilden Energien machen soll.
Im derart aufgeladenen Handlungsraum kann sich die Erzählerin als rückwärtsgewandte Prophetin entfalten. Denn über dem theatralischen Trubel und der erotisch und exotisch erhitzten Atmosphäre lauert als Naturmetaphorik von vornherein die Katastrophe. Deshalb spielt der Wetterbericht eine wichtige Rolle: "Binnen weniger Stunden, es mögen zwei oder auch drei gewesen sein, war die Temperatur von zwei auf minus 16 Grad gefallen. Es war windstill gewesen, und der See hatte ein merkwürdig weißes Licht abgegeben." Wilde Energien strömen, am Ende kommt alles ins Rutschen, und es "lugt hinter jedem Busch ein Irrer hervor". Die Katastrophe aber ist zugleich der Durchbruch zur Präsenz und zur Erkenntnis, daß die Unterscheidung von normal und verrückt im Kontinuum von Zeit und Raum bedeutungslos ist: "Wir sind alle nur Sandkörner im Meer der Erscheinungen." Daß der Psychiater mit solchem Kitsch denunziert wird, hat er trotz seiner Schwächen nicht verdient.
Liane Dirks versteht sich auf dichte Atmosphären und suggestive Detailbeschreibungen und scheut auch vor grellen Überraschungseffekten nicht zurück. Die Erzählerin schwebt dabei als Anima über den Wassern des Sees und kann unterschiedslos allen Personen in den Kopf schauen. Davon macht sie so reichlichen Gebrauch wie von den Stilmitteln der erlebten Rede und des inneren Monologs. Der Effekt ist ein überanstrengt wirkendes Gewirr von inneren und äußeren Stimmen und mystifizierend verknüpften, manchmal auch verhedderten Handlungsfäden, was allzu offensichtlich die überspannte Glückssuche der zwanziger Jahre in ihrer katastrophenträchtigen Irrationalität abbilden soll. Liane Dirks hat trotz oder wegen ihrer Recherchen für die handelnden und leidenden Personen der dargestellten Epoche wenig Respekt. Das führt bei aller Kunstfertigkeit zu einem oft unangenehmen Ton jovialer Ironie und mangelndem erzählerischen Takt.
Stilistisch zeigt sich das in syntaktischer Überladung und einem großsprecherischen Übereinander von Beschreibung und Deutung. Liane Dirks traut sich viel zu und hat deshalb auch keine Angst vor überstrapazierten Bildern. Vor allem wird ihre Erzählerin nicht müde, dem Leser die Spiegelbildlichkeit des Normalen und des Verrückten vor Augen zu führen. Das geht trotz Ironie irgendwann auf die Nerven, insbesondere wenn der Experte für dieselben seiner postnietzscheanischen Lebensphilosophie nachhängt. "Aber irgendwie war auch das Leben so: Was sich zeigte, war die Kopie, die Kopie von Vorgeprägtem, von Gedanken, von Verfassungen . . . Wie sollte der Kranke wissen, wer er war, wenn schon der Gesunde sich fortwährend kopierte." Am Ende will Liane Dirks dem Leser unter Berufung auf den Doktor weismachen, daß Erkenntnis "jenseits aller Formulierungen" steht. Wer's glaubt, wird glücklich.
Liane Dirks: "Narren des Glücks". Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004. 224 S., geb., 17,90 [Euro].
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