notiert und beginnt so seine Analyse über den symbolischen Wandel des Geldes - ein Kapitel in dem Band "Namen, Falten, Spuren", der 1994 erschien und jetzt, als erstes Buch des Italieners, ins Deutsche übersetzt worden ist. Ricci integriert die Anrufung der Mark in die Geschichte politischer Rhetorik: Wenn Machthaber das Wort ergriffen, legitimierten sie sich über Gott, König oder Volk. Der Kanzler, so Ricci, fügt dem eine vierte Formel hinzu, denn er spricht aus, "was die bürgerliche Diskretion geheimgehalten, wenn nicht gar verdrängt hatte: ,Im Namen des Geldes'".
Ricci verweilt bei zwei umgangssprachlichen "Namen des Geldes", soldi und liquidi, die ihre Entsprechung im Deutschen haben, wo man ja auch nur mit der "harten Mark" wirklich "flüssig" ist. Beide Wörter bezeichnen gegensätzliche Aggregatzustände und haben doch eine Gemeinsamkeit. Sie verweisen auf die Materialität ihres Referenten, auf eine Körperlichkeit des Geldes, von der Ricci zeigt, wie sehr sie "nach Blut und Exkrementen riecht": Der Goldesel ist nur das bekannteste der märchenhaften Tiere, die in den westlichen Kulturen Münzen ausscheiden. Diese Körperlichkeit ist nun im Begriff zu verschwinden, so die These, denn elektronische Geldströme haben die Banknote ersetzt. Mit weitreichenden Folgen: "Von der Anonymität eines Geldscheins führt uns der chèque in ein Regime privater Personalisierung, in dem jeder Beteiligte gänzlich identifiziert ist: die Bank, der Kontoinhaber und der Empfänger." Gleichzeitig fungiert die Kreditkarte als globale Übersetzerin, indem sie die Grenzen der Nationalwährungen unterläuft. Das körperlose Geld ist unzerstörbar. "Keiner kann mehr einer Zerstreutheit wegen arm werden, weil die Maschine unseren Code, unseren Namen immer gespeichert hat."
Und so klagt Ricci: Kein Spiel mehr im Leben, vielleicht auch keine Freiheit, jedenfalls bestehe das einzig verbliebene Risiko darin, "aus Langweile zu sterben". Das muß die Langweile eines Semiologen sein, der sich ein allzu schematisches Bild von der Geschichte macht; der jene Ungleichzeitigkeiten übersieht, die in die Gegenwart ragen. Oder konkret: Was, wenn sich herausstellt, daß entscheidende Geldströme manchmal keineswegs körperlos bewegt werden, sondern in Kuverts und diskreten Aktenkoffern?
Helmut Kohl jedenfalls ist verstrickt - sowohl in seine eigene Rede als auch in die Textur, die Ricci ihm übergeworfen hat. Das Kapitel illustriert gut, wie seine kultursemiologischen Studien überhaupt geschneidert sind: Er sieht einen Webfehler im Diskurs und knüpft Überlegungen daran, die nur scheinbar vom Thema wegführen, und am Ende sind sie sorgfältig um den jeweiligen Gegenstand geschlungen. Wenn es nicht ums Geld geht, dann um das Problem des Eigennamens oder ums Essen.
Ricci bestimmt die "kulinarischen Praktiken als semisymbolisches System" zum Feld der Kultursemiologie, ganz in der Tradition von Lévi-Strauss und Roland Barthes. So beschreibt er zum Beispiel die detaillierten Anweisungen, nach denen im sechzehnten Jahrhundert ein Pfau tranchiert wurde. Das Arrangement des Vogels auf dem Teller, die Reihenfolge der Schnitte, das Instrumentarium - alles war darauf angelegt, die Reinheit der Speise zu bewahren. Allerdings nicht aus hygienischen Gründen wie im neunzehnten Jahrhundert, sondern aus ästhetischen: Alles andere wäre "unschön anzusehen".
Diese Studien sind zugleich anstrengend und amüsant zu lesen. Oft ist die Fallhöhe zwischen begrifflichem Aufwand und analytischem Ertrag so enorm, daß sie nichts als Komik erzeugt. Etwa wenn Ricci die banale Erfahrung jedes Amateurkochs in einem Satz wie diesem vergräbt: "Ein Rezept ist nicht so sehr eine Serie von Aussagen, die die Zubereitung (das Machen) lehren, als vielmehr ein offener Text, der Räume für die Hinzufügung, die Randbemerkung, den Lapsus offenläßt, welche Überschreitungen und deshalb einen neuen Text hervorbringen." Ricci analysiert eine "Fiktion" von Jorge Luis Borges - und behauptet, sein Kommentar sei nur vorgetäuscht; er listet eine Reihe von Behauptungen auf - und verläßt diese "leichtsinnigen Hypothesen" gleich im nächsten Absatz; er streift zuweilen die Grenze zur Wissenschaftsparodie - und will noch diese Haltung ironisch absichern: Das Buch endet mit einem Kapitel, das "die Spuren, die eine zu gewichtige und ernste Schreibgeste hinterlassen haben mag, wieder zu löschen" versucht.
Kein Zweifel: Ricci verehrt Barthes, dieses "unsichere Subjekt", mit guten Gründen. Nur hat der Schüler den fundamental politischen Impuls vergessen, mit dem Barthes sein semiologisches Abenteuer bis zuletzt aufgeladen hat. Wenn Ricci die Anarchie der Zeichen beschwört, ist das kaum mehr als eine Pose: schick anzusehen.
RENÉ AGUIGAH.
Piero Ricci: "Namen, Falten, Spuren". Vom Essen und Sprechen. Kultursemiologische Studien. Aus dem Italienischen von Inge Valentini. Passagen Verlag, Wien 2000. 220 S., br., 29,80 DM.
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