tödliches Handwerk als Ausdruck jüdischen Emanzipationsstrebens präsentierte: Der Gangster nehme dem Opfer "nicht nur das Leben"; er gebe "auch der fundamentalen Freiheit der Juden in Amerika Ausdruck". Immerhin, Cohen schlug eine zumindest für deutsche Leser originelle Seite in der Verbrecherkartei Amerikas auf. Sein neues Buch aber begibt sich auf bekanntes und damit schwierigeres Terrain.
"Nachtmarsch" begleitet drei junge jüdische Untergrundkämpfer im Kampf gegen die Nationalsozialisten in Litauen. Die fröhliche Vitka, die stille Ruzka und der düster charismatische Dichter Abba führten eine "ménage à trois" im Angesicht des Todes, riskierten tagsüber ihr Leben und schliefen nachts im selben Bett. Als Streiter der "Jungen Garde", einer zionistischen Untergrundarmee, sprengten sie Züge in die Luft und riefen die Bewohner des Wilnaer Gettos zum Widerstand auf. Vergebens. Die meisten hofften, durch Anpassung der Deportation zu entgehen, dabei kannte man längst die Berichte von Massenerschießungen in Ponar, einer der grausigsten Exekutionsstätten Osteuropas.
Abba schien dieser Irrtum nicht nur fatal, sondern unverzeihlich. Daß der "Krieg eine Prüfung" war, "bei der viele Juden versagten", so lautet das harte Urteil des Zionisten, dem der Autor nicht widerspricht. Als das Getto geräumt wird, entkommen Abba, Vitka und Ruzka mit einigen Getreuen durch die Kanalisation. Mehr als ein Jahr hausen sie in Holzverschlägen, geplagt von Läusen, Krankheiten und dem Antisemitismus der Mitstreiter. Dann endet der Krieg in Litauen.
Trotz seines spannenden Stoffes ist "Nachtmarsch" kein ungetrübtes Lesevergnügen. Daß Cohen sich nicht entscheiden kann, wessen Perspektive er einnimmt - Vitkas? Ruzkas? die des wissenden Nachgeborenen? -, daß sein Stil holprig und die Übersetzung kaum besser ist ("Sebastopol" statt "Sewastopol"), daß ihn offenbar nicht historische Zusammenhänge, sondern eine kindliche Lust am Knalleffekt interessieren ("am Zünder ziehen und - peng!"), solch kleine Sabotageakte summieren sich zum großen Unbehagen. Zumal Cohen seinen größten Trumpf, die intime Kenntnis der drei Hauptfiguren, nicht ausspielt. Denn Ruzka ist seine Großcousine, und alle drei Helden sind mit der Familie des Autors seit Jahrzehnten bekannt. Und doch ist der Fanatiker Abba für ihn am Ende nicht mehr als ein "Beispiel für die Bandbreite menschlicher Erfahrungen"; das komplizierte Dreiecksverhältnis schildert er mit dem lapidaren Satz: "In Wahrheit waren alle drei ineinander verliebt."
Noch schwerer als die Oberflächlichkeit wiegt der Mangel an Distanz. Selten erlaubt sich Cohen ein kritisches Wort; nicht, als die Partisanen in einer Vergeltungsaktion ganze Dörfer niederbrennen, und auch nicht, als sie die eigenen Leute wegen einer gestohlenen Scheibe Brot hinrichten. Die Bewunderung des Pop-Autoren für die Härte der jüdischen Soldaten kennt keine Grenzen. So ist es nicht erstaunlich, daß er Abbas größten und umstrittensten Coup bedenkenlos vorstellt. Nach dem Krieg planten die "Avengers", so der Originaltitel, in sechs deutschen Städten das Trinkwasser zu vergiften, um die Deutschen auf "dieselbe unmenschliche, maschinelle Weise" umzubringen, "in der sie die Juden umgebracht hatten". Als dieses Vorhaben scheiterte, vergifteten die "Rächer" NS-Kriegsverbrecher in einem Nürnberger Gefängnis mit arsenhaltigem Brot. Zweitausend Inhaftierte erkrankten.
Daß der biblische Rachedurst Abbas auch eine tragische Dimension hat, daß der Fanatismus der Partisanen, die das Töten nicht lassen können, ein schweres Erbe für jeden Frieden ist, solche Widersprüche streift Cohen nur am Rande. Abba und die "Rächer" griffen zur Waffe, kurz nachdem Millionen Juden wehrlos in den Tod gegangen waren, da scheint Cohen die Frage nach den Gründen zweitrangig.
Nach Ruzka erreichen auch Abba und Vitka, die inzwischen ein Paar sind, Palästina - und der Leser den am schwersten erträglichen Teil des Buches. Denn Cohen beschreibt die Gründung des Staates Israel als Mischung aus Leon Uris' "Exodus", unbeschwerter Kibbuz-Seligkeit und zionistischem Kitsch, in dem "Araber mit weißer Kopfbedeckung" am Horizont spazieren, "wie ein Echo aus vergangenen Zeiten". Immerhin, in Israel kommen die "Rächer" zu Ruhe, selbst Abba schwört der Vergeltung ab, schreibt Geschichten, wird Vater.
Nur Cohen hat sich längst von den Banden der Logik und der Historie gelöst. Schließlich sitzt sein Held im Gefängnis in Kairo, Hunderte von Kilometern von der Küste entfernt: "Nachts konnte er Kamele hören, die in der Wüste brüllten, und die Schiffe draußen auf dem Meer." Der Leser aber, weder mit orientalischer Phantasie noch mit Abbas Fähigkeiten begabt, mag noch so sehr die Ohren spitzen. Er lauscht dem Autor keine neuen Talente ab.
Rich Cohen: "Nachtmarsch". Eine wahre Geschichte von Liebe und Vergeltung. Aus dem Amerikanischen von Irmengard Gabler. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 352 S., Abb., geb., 39,80 DM.
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