öffentliche Ausbuchstabieren der Grund eben hierfür.
Auch Kröhnkes jüngster Roman "Nach Asmara!" ist nur vorgeblich ein Roman über das Reisen. Zwar besteigt Frick - unschwer zu lesen als Alter Ego des Autors, wenngleich die stete Nennung beim Nachnamen und in der dritten Person Distanz suggeriert - Flugzeug um Flugzeug, reist nach Bali und nach Japan, nach Panama und Rumänien genauso wie in die Vereinigten Staaten oder nach Indien. Aber er ist weder Kosmopolit noch von Neugier getriebener Entdecker, auch wenn er sich von allen Pfaden des Massentourismus fernhält. Vielmehr ist es das manische Immerzu des erneuten Aufbruchs, das Fricks Dasein und Wesen ausmacht.
Durch das Buch zieht sich eine erinnerte Gegenfigur zu Frick, die gleichzeitig Adressat des Erzählten ist. Dieser Herr Burmeister, mit dem Frick ein paar Jahre zuvor ein Krankenhauszimmer geteilt hat, führt eine Durchschnittsexistenz: "Mann und Frau und Kinder sind beieinander, im Winter im Haus, im Sommer auch im Garten." Frick dagegen "hat nichts und war nichts. Nichts von Beruf und nichts in seiner gesellschaftlichen Stellung." Er ist ein Herumtreiber, ein "Ahasver", vor allem ist er allein. Nur Agnes hat er stets bei sich: ein Stofftier. Fricks Liebe zu Agnes ist ebenso traurig wie neurotisch und in seiner Ausgestelltheit bisweilen nah an der Stilisierung.
Burmeister gegenüber erfindet Frick eine Freundin, angeblich Lehrerin im Rheinland, um zumindest ein wenig respektierlich zu erscheinen neben einem Mann, der im Leben und dessen Zusammenhängen ruht. Vermutlich weiß Frick, dass er Erlösung von seiner ewigen Wanderschaft kaum wird finden können. Wohl deshalb sucht er sie auch gar nicht wirklich in den Orten selbst, auch wenn er von einem zum nächsten reist, sondern vielmehr in dem, was sie einmal waren, im Vergangenen, das womöglich noch für einen flüchtigen Moment in ihnen aufblitzt und in jedem Fall als das Andere zum Jetzt und Hier erscheint. "Frick irrt wohl nach diesem ,noch' durch die Welt."
Ebenjenes Asmara, die Hauptstadt Eritreas, das Kröhnkes Roman als Ausruf und Richtungsweisung zum Titel wird, verspricht ein solches "Woanders" zu sein, ein Ort, der ebenso wie Frick aus Welt und Zeit gefallen ist. Neoklassizistische Kinopaläste, von Patina überzogen, findet man in dieser ehemaligen italienischen Kolonie, Kaffeehäuser, in denen alte Herren Wasser oder dünnen Cappuccino trinken, halbzerfallene Villen, die nur noch vage an vergangenen Glanz erinnern. Ein Ort allerdings, an dem nicht nur der italienische Faschismus der dreißiger Jahre seine architektonischen Spuren hinterlassen hat: Folter und Unterdrückung von Opposition jeder Art sind in Eritrea bis heute an der Tagesordnung, um die Pressefreiheit ist es noch schlimmer bestellt als in Staaten wie Nordkorea. Frick schert das kaum, weder moralisch noch praktisch.
Ausgerechnet hier kann er sich zum ersten Mal ein Verweilen vorstellen. "In der verdunkelten Kammer auf einem Dach in Eritrea sieht er die Gassenecke vor sich, an der er sitzen will." Und zum ersten Mal spricht nun Frick das aus, was sein Unglück und seine Sehnsucht ausmacht und seine Daseinsform bestimmt: "Huren und Strichjungen und feuchte Hitze". Das ist seine Idee davon, in Frieden zu leben.
Und dennoch ist ihm Erlösung nicht vergönnt. Frick reist ab und reist weiter, mit Agnes im schmalen Gepäck. Mit einer Selbstverständlichkeit und einer Unbedingtheit tut er das, die keine Worte brauchen und gerade deshalb schmerzen.
Womöglich aber sind Selbstverständlichkeit und Unbedingtheit nur ein Trugschluss, der aus der Ruhe von Friedrich Kröhnkes Sprache erwächst. Jede der kurzen Szenen und jedes der Notate, aus denen sich dieses Buch zusammenfügt, ist von einer sanften, dem Getriebensein der Figur vollkommen konträren Stimmigkeit. So als wären Frick und mit ihm sein Autor, die niemals in der Welt aufgehoben zu sein meinen, dies doch immerzu und allein in der Sprache. Ähnlich ergeht es dem Leser mit diesem schmalen Band, der in dem, was und von wem er erzählt, in vielerlei Hinsicht befremdlich ist, dessen feine, leise Melodie indes etwas Bezwingendes hat.
WIEBKE POROMBKA
Friedrich Kröhnke: "Nach Asmara!" Roman.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2011. 150 S., geb., 18,- [Euro].
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